Prof.in Dr.in Anke König
Erziehungswissenschaftlerin, Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Vechta. Sie ist Vorstandsmitglied im Pestalozzi-Fröbel Verband (pfv) und Mitglied in unterschiedlichen (wissenschaftlichen) Beiräten. Ihre Forschung und Reflexion im System frühe Bildung hinterfragt Routinen, Praxen und historische Entwicklungslinien.
Maria Magdalena Hellfritsch
Diplom Pädagogin (Univ.), Diplom Sozialpädagogin (FH), staatlich anerkannte Erzieherin, Vorstandsmitglied im Pestalozzi-Fröbel Verband (pfv), war bis zum Eintritt in den Ruhestand 2022 Geschäftsführerin und fachliche Leitung des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern, zuvor stellv. Leitung des Referats Frühkindliche Bildung und Erziehung am Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) und wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP).
Kita-Leitung durch Fachfremde möglich - In Bayern haben jüngst die umfangreichen Öffnungsprozesse in der Kindertageseinrichtung auch die Leitungspositionen in den Kitas erreicht. Dabei hat die Leitung von Kindertageseinrichtungen erst seit kurzem als unterste Steuerungsebene an Bedeutung gewonnen. Diese Position zu stärken, ist eigentlich Teil des KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz (KiQuTG). Nun können in Bayern auch Fachfremde eine Leitung der Kita übernehmen. Im Folgenden werden diese Entwicklungen kritisch reflektiert mit Fokus auf die rechtlichen Entwicklungen, Rahmenbedingungen und mit Blick auf die Zukunftsaussichten in diesem Arbeitsmarkt.
Mit der Novellierung der bayerischen Kinderbildungsordnung vom 1. Juli 2023 können zukünftig Beschäftigte ohne pädagogische Ausbildung, mithin Verwaltungskräfte, Betriebswirte, nicht einschlägig vorgebildete ehrenamtlich Tätige etc., die über hinreichend praktische Erfahrungen verfügen und an einer Fortbildung für Leitungskräfte teilgenommen haben, die pädagogische Fachkraft ersetzen. Die notwendige Erfahrung kann in der Regel durch eine vorangegangene dreijährige praktische Tätigkeit nachgewiesen werden (§16 (3) AVBayKiBiG). Dies ordnet Sozialministerin Scharf als große Entlastung und Flexibilitätssteigerung insbesondere für große Betreuungseinrichtungen an:
„Seit dem 1. Juli 2023 muss eine Kita-Leitung nicht mehr zwingend eine pädagogische Fachkraft sein. Insbesondere für große Betreuungseinrichtungen stellt das eine große Entlastung dar. Die Regelung erlaubt es aber auch weiterhin, dass pädagogische Fachkräfte eine Leitungsfunktion übernehmen“ (Pressemeldung Sozialministerin Scharf vom 08.08.2023)1.
Zwar kann die nichtpädagogische Leitung nicht in den Fachkraftschlüssel eingerechnet werden und die Leitungsaufgaben sind entsprechend § 14 (3) der Kinderbildungsordnung (AVBayKiBiG) vom Träger vollumfänglich umzusetzen, dies aber als Mittel der Qualitätssteigerung in den bayerischen Kindertageseinrichtungen zu deklarieren, scheint jedoch mindestens fragwürdig.
Diese Entwicklungen sind Teil der unterschiedlichsten Öffnungsprozesse, die im Zuge des demographischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt der Kita zu beobachten sind. Sie reichen von der Öffnung der Ausbildungsformate (König et al. 2018) hin zu den Fachkräftekatalogen (Bundesverband Kindertagespflege 2019; Fröhlich-Gildhoff u.a. 2021), wonach andere Berufsgruppen als pädagogische Fachkräfte anerkannt werden. Seit der Pandemie ist auch die Einstellung von Helfer*innen im sogenannten nicht-pädagogischen Bereich ausgebaut worden (Espenhorst 2021; FKB 2022, S. 8).
Zahlen und Fakten
Leitungsressourcen gelten als wichtiger Qualitätsfaktor für die Personal- und Teamentwicklung (Strehmel 2015). Laut Fachkräftebarometer gibt es bundesweit aktuell mehr als 60.000 Leitungskräfte (FKB 2021, S. 41). Somit hat sich der Anteil an Leitungskräften seit 2011 um 62 Prozent erhöht. Die Position der Leitungskräfte zeigt im Zuge des dynamischen Wandels hohe Anpassungen bei den Rahmenbedingungen. Insbesondere stieg der Anteil der Freistellungen vom „Dienst am Kind“. Den stärksten Zuwachs erfahren die anteilig freigestellten Leitungskräfte (2011-2020: + 96 Prozent). Die Freistellung von Leitungskräften wird regional unterschiedlich praktiziert und ist an die Größe der Einrichtungen gebunden. Bereits in den letzten Jahren ist jedoch zu beobachten, dass der Anteil der vollständig freigestellten Leitungen zurückgeht von 53 auf 43 Prozent (2011-2020). Über den höchsten Anteil an vollständig freigestellten Leitungskräften verfügen Hamburg, das Saarland und Bremen. Bayern bildet hier mit 20% das Schlusslicht (ebd. S. 43). Professionalisierung in Form von Akademisierung zeigt sich insbesondere auf Leitungspositionen (19%) (FKB 2021, S. 44). Befristet sind Leitungspositionen nur in Ausnahmefällen (2 %) (FKB 2022, S. 12), was auf stabile Beschäftigungsbedingungen hinweist. In den letzten Jahren sind auch Lohngewinne für Leitungspositionen zu verzeichnen. So weist Elke Alsago von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di darauf hin, dass die ehemals unterbewerteten Stellenprofile „mehrere hundert Euro im Monat und mindestens eine, teilweise zwei Entgeltgruppen“ höhergruppiert werden konnten (2023, S. 112).
Der bayerische Weg
Selbstredend ist der Fachkräftebedarf in Kitas nach wie vor immens und Kitas brauchen mehr pädagogische Fachkräfte für die Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder. Wenn Bayern es aber zukünftig ermöglicht, den pädagogischen Fachkräften die bisher einzige Aufstiegsmöglichkeit im System, nämlich die Leitungsfunktion, strittig zu machen durch Einsatz von Personen aus anderen Arbeitsfeldern, kann das schon aus berufspolitischer Sicht nicht als sinnvolles Gegensteuerungsinstrument bewertet werden. Jahrzehntelang wurde die Kita als sogenannte „biographische Sackgasse“ (Rabe-Kleberg 2000, S. 94) betitelt. In den letzten Jahren haben behutsame Professionalisierungsprozesse eingesetzt. Insbesondere auf der Ebene der Leitungsposition. Berufliche Perspektiven und Karrieremöglichkeiten tragen zur Attraktivitätssteigerung des Arbeitsfelds Kita bei – das zeigt sich auch daran, dass für Leitungspositionen mehr akademisierte Pädagog*innen gewonnen werden können. Die Strategie, anderen als pädagogischen Fachkräften die Leitung von Kitas zu überlassen, behindert die Steigerung der Attraktivität, weil damit Karrierepositionen in die Ferne rücken und Leitung von pädagogischen Aufgaben entbunden wird. Auch Ausbildungszahlen werden damit nicht anzuheben sein.
Ermöglichung von Qualität
Konterkariert werden zudem die jahrzehntelangen Anstrengungen der Fachwissenschaften, der Fachpolitik sowie des Aus- und Weiterbildungsbereichs, die aus fachlicher Sicht unumstrittene Schlüsselposition „Kita-Leitung“ für die Qualitätsentwicklung im frühpädagogischen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungssystem zu professionalisieren (WiFF 2014).
In das Genre Qualitätsentwicklung, besonders für große Einrichtungen, würde vielmehr die Einrichtung einer Co-Leitung oder Doppelspitze, bestehend aus einer pädagogischen Leitung und einer Verwaltungsleitung fallen. Dann hätten die pädagogischen Leitungen zu 100% Zeit für die Personalentwicklung der Mitarbeiter*innen, für Führung, pädagogische Konzeptionsarbeit und Entwicklung der pädagogischen Qualität. Menschen mit Expertise in der Verwaltung könnten dann die Verwaltungsaufgaben übernehmen. Anschlussfähig sind hier auch die Empfehlungen des vom Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) ins Leben gerufenen „Bündnis für frühkindliche Bildung in Bayern“. Die Facharbeitsgruppe „Fachkräfte“ resümiert zur Lösung von Zukunftsfragen der Kindertagesbetreuung mit Blick auf die Kita-Leitung:
„Insbesondere Leitungskräfte brauchen Zeit für Teamführung, konzeptionelle Arbeit sowie Vernetzung mit Fachdiensten, Schule, Ausbildungsstätten und im Sozialraum. […] Mit dem Leitungs- und Verwaltungsbonus wurde mit Mitteln aus dem KiQuTG ein erster wichtiger Schritt unternommen. Mit dieser Bonuszahlung können zusätzlich Kräfte beschäftigt werden und dadurch vor allem die Leitungen zeitlich entlastet werden2.“
Auch im Hinblick auf die zunehmend multiprofessionellen Teams scheint die Entbindung von Leitungen aus der pädagogischen Verantwortung unzulässig. Denn je diverser das Team ist, desto stärker ist der Bedarf an Austausch (u.a. Ellwart, Beinicke & Bipp 2019; Fuchs-Rechlin & Müller 2019 u.a.), an Offenheit und zu diesem Zweck an einer guten Begleitung des Teams durch Fachberatung, Supervision, Coaching etc. Zu den Kernaufgaben in der Pädagogik gehören nicht nur die unmittelbare Interaktion (unterrichten, erziehen etc.), sondern Planung, Evaluation, Organisation und Beratung.
Fazit
Die Novellierung der Kinderbildungsordnung als Strategie zur Verminderung des Fachkräfteproblems wird nicht zur Steigerung der Attraktivität und der Anerkennung der pädagogischen Berufe in Kitas führen. Der vermeintliche „Vorstoß“ aus Bayern hat den Beigeschmack, dass hier auf Kosten der Karriere der pädagogischen Fachkräfte agiert wird. Gebündelt werden sollen die in den Leitungen schlummernden Ressourcen der pädagogischen Fachkraft für den „Dienst am Kind“. Damit wird die Hoffnung verbunden, dass der Fachkräftemangel einfach auf Leitungsebene behoben wird, denn die höhergruppierten und auf stabilen Beschäftigungsbedingungen aufbauenden Leitungsstellen bieten hier eine Basis für das „Abfischen“ von Personal aus anderen Arbeitsfeldern. Der „Vorstoß“ ist daher besonders perfide, da dieser in einem traditionellen „Frauenberuf“ vorgeschlagen wird, der seit Jahren darum ringt, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. So werden die Errungenschaften und Anstrengen der letzten Jahre untergraben. Die Auffassung der Kindertageseinrichtungen als einer in ihrer pädagogischen Relevanz immer noch unterschätzten Institution wird damit besonders deutlich.
Literatur
Alsago, E. (2023). Ver.di. In König, A. & Franke-Meyer, D. (Hrsg.). Weichenstellung Reichschulkonferenz. Kindergarten revisited. Weinheim: Belz/Juventa, S. 110-115.
Autorengruppe Fachkräftebarometer (2022). Personal und Arbeitsmarkt in Zeiten von Corona. Analysen zum Fachkräftebarometer Frühe Bildung. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München
Autorengruppe Fachkräftebarometer (2021). Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2021. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München
Bundesverband Kindertagespflege (2019): Pädagogische Fachkräfte in der Kita. https://www.bvktp.de/media/zusammenfassung_paedagogische_fachkraefte_version_2-2019.pdf
Ellwart, Th., Beinicke, A. & Bipp, T. (2019). Altersdiversität in Teams – (K)ein Erfolgsfaktor? In: Beinicke, A. & Bipp T. (Hrsg.): Strategische Personalentwicklung. Berlin, Heidelberg: Springer.
Espenhorst, N. (2021). Bundesweiter Überblick: So gehen die Länder mit dem Personalbedarf der Kitas in der Coronakrise um. Der Paritätische Gesamtverband: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/bundesweiter-ueberblick-so-gehen-die-laender-mit-dem-personalbedarf-der-kitas-in-der-coronakrise-um/
Fröhlich-Gildhoff, K. et al. (2021). Unterstützungspotenziale für multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen. Zentrale Erkenntnisse einer Längsschnittstudie in Baden-Württemberg. In: Frühe Bildung, 10/1, S. 4–15.
Fuchs-Rechlin, K. & Müller, S. (2019). Erfolgreiche Berufseinmündung: Teamsache?! In: KiTa aktuell spezial, H. 4, S. 150–152.
König, A. et. al (2018). Aktuelle Entwicklungen in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern an Fachschulen für Sozialpädagogik. Organisationsformen, Zulassungsvoraussetzungen und Curricula – eine Dokumentenanalyse. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Studien, Band 29. München.
Rabe-Kleberg, U. (2000). Öffentliche Kindererziehung. Kinderkrippe, Kindergarten, Hort. In H.-H. Krüger & T. Rauschenbach (Hrsg.), Einführung in die Arbeitsfelder des Bildungs- und Sozialwesens (S. 94-109). Opladen: UTB.
Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (Hrsg.) (2014): Leitung von Kindertageseinrichtungen. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung. München
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