Nichtigkeitsverfahren bei parallelem Einspruchsverfahren
Recht & Verwaltung21 Februar, 2023

BGH zu Parallelität von Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren – Aminopyridin-Entscheidung

Prof. Dr. Aloys Hüttermann, Partner bei Michalski Hüttermann & Partner Patentanwälte mbB
In der unlängst veröffentlichten Entscheidung X ZR 47/22 – „Aminopyridin“ hat sich der Bundesgerichtshof zur Frage geäußert, wann Nichtigkeitsverfahren möglich sind, wenn Einspruchsverfahren (noch) laufen.

Tatbestand und Entscheidungsgründe

Gegenstand des Verfahrens war eine Nichtigkeitsklage, die eingereicht worden war, obwohl vor dem Europäischen Patentamt ein Einspruchsbeschwerdeverfahren noch lief. Gemäß § 81, Abs. 2 Patentgesetz ist allerdings dieses Verfahren vorgreiflich, genauer kann ein Nichtigkeitsverfahren nicht eingereicht werden „solange ein Einspruch noch erhoben werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist.“ – die Klage wird dann unzulässig.

Bereits 2011 hatte der Bundesgerichtshof in einem obiter dictum, gestützt auf die Kommentierung im Zöller zu § 253 ZPO, in der X ZR 124/ 10 „Mautberechnung“-Entscheidung festgestellt, dass es hierbei auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Nichtigkeitsklage ankommt, d.h. eine zunächst vorliegende Unzulässigkeit kann sich später erübrigen.

Auf diese Entscheidung verwies nun der Bundesgerichtshof und stellte nunmehr im Leitsatz klar, dass „für die Beurteilung, ob das Klagehindernis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG vorliegt, nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen [ist], sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage.“

Gleichzeitig stellte der Bundesgerichtshof fest, dass der Term „anhängig“ nicht bedeutet, dass ein Einspruchsverfahren abschließend beendet ist. Stattdessen ist die Anhängigkeit nicht mehr gegeben, „wenn das Europäische Patentamt entschieden hat, dass das Patent mit einer geänderten Fassung seiner Ansprüche aufrechterhalten wird, und diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann.“


Praktische Relevanz

Dies ist für die Praxis höchst bedeutsam, vor allem dann, wenn in einem Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt ein Patent im geänderten Umfang aufrechterhalten wird. Dies hat nämlich zur Folge, dass zunächst die Beschwerdeentscheidung ergeht, das Verfahren zunächst an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen wird, sowie der Patentinhaber die Ansprüche in die beiden anderen Amtssprachen übersetzen und eine Druckkostengebühr für die B2-Schrift entrichten muss. Grundsätzlich sind, z.B. gegen die Anpassung der Beschreibung, sogar noch weitere Beschwerden möglich, auch wenn sich am Wortlaut der Ansprüche in der Verfahrenssprache nichts mehr ändert.

Aber selbst wenn das Verfahren von keinem der Beteiligten verzögert wird, kann es oftmals mehr als ein Jahr dauern, bis nach der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer – in der die endgültige Fassung der Ansprüche festgelegt wird – das Einspruchsverfahren endlich formell abgeschlossen ist.

Diese Zeit abzuwarten, ist gemäß der „Aminopyridin“-Entscheidung nicht notwendig. Stattdessen fällt die Unzulässigkeit gemäß § 81, Abs. 2 Patentgesetz de facto mit Ende der mündlichen Verhandlung weg, d.h. die Zeitspanne, in der eine deutsche Nichtigkeitsklage unzulässig wird, verkürzt sich erheblich.

Dies bedeutet, dass eine Nichtigkeitsklage in der Praxis z.B. schon dann eingelegt werden kann, wenn der Termin der mündlichen Verhandlung im Einspruchsbeschwerdeverfahren publiziert ist, was im Register sehr einfach ermittelt werden kann.

Natürlich hat auf Grund der ex tunc- Wirkung von Europäischen Einsprüchen das Ergebnis dieser mündlichen Verhandlung Auswirkungen auf das Nichtigkeitsverfahren, wie der Bundesgerichtshof auch richtig feststellt: “In dieser Konstellation ist eine Nichtigkeitsklage nur noch insoweit zulässig, als sie darauf gerichtet ist, den Rechtsbestand des Patents in weitergehendem Umfang zu beseitigen, als dies nach der bindenden Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist.“ Dies kann dann im Extremfall dazu führen, dass die Klage, wenn das Streitpatent von der Beschwerdekammer vernichtet wird, unzulässig wird.

Für Nichtigkeitskläger ist all dies aber eine gute Nachricht, haben sie doch, was die Organisation ihrer Klage angeht, viel mehr Planungssicherheit.

Nicht uninteressant sind hier die Auswirkungen auf das zukünftige Einheitspatentsystem. Im EPGÜ – wie auch in den meisten EPÜ-Mitgliedsstaaten – gibt es keinen §81, Abs. 2, d.h. eine Nichtigkeitsklage ist auch bei laufendem Einspruchsverfahren möglich.

Dies könnte wiederum ein Grund für Patentinhaber sein, zum „opt-out“ zu greifen, da sie, zumindest in Deutschland, potentielle Nichtigkeitskläger für einige Zeit aufhalten können, wenn ein Einspruchsverfahren läuft. Diese Sperrwirkung wird nun durch die „Aminopyridin“-Entscheidung etwas verkürzt, und insbesondere bei Patenten, bei denen ein Einspruch bereits in der Einspruchsbeschwerde ist, fällt dieser strategische Vorteil des „opt-outs“ mehr oder minder weg.

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