Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von Drogeriemarkenartikeln
Recht & Verwaltung13 Januar, 2023

Anspruch auf Kartellschadensersatz

Redaktion Wolters Kluwer Online

Ein kartellrechtswidriger Austausch zwischen Wettbewerbern über geheime Informationen, die das aktuelle oder geplante Preissetzungsverhalten gegenüber einem gemeinsamen Abnehmer betreffen, kann zugunsten dieses Abnehmers zu einem Erfahrungssatz führen. Dieser lautet, dass die deshalb erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die Wettbewerbsbeschränkung gebildet hätten.


Sachverhalt: Informationsaustausch gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Anton Schlecker e. K. i. L. (Schlecker) die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von Drogeriemarkenartikeln in Anspruch.

Die Beklagten und die Streithelferinnen stellen Drogeriemarkenartikel her und vertreiben diese. Sie waren Mitglieder des Arbeitskreises "Körperpflege, Waschmittel, Reinigungsmittel" (Arbeitskreis) des Markenverbandes e.V., eines branchenübergreifenden Spitzenverbands zur Förderung des Wettbewerbs zwischen Industrie und Handel.

Schlecker gehörte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.03.2012 zu den größten deutschen Drogeriefilialisten und war lange Zeit mit Abstand Marktführer im Bereich des Handels mit Drogerieartikeln für Endverbraucher im deutschen Markt.

In den Jahren zwischen 2000 und 2012 vertrieben die Hersteller von Drogeriemarkenartikeln ihre Produkte zu 90 % über Drogerie- und Lebensmittelgeschäfte (Einzelhandel). Die Hersteller waren sehr darauf angewiesen, dass die von ihnen angebotenen Drogerieartikel dort ʺgelistetʺ, also im Sortiment geführt wurden. Der Einzelhandel konnte aufgrund seiner Nachfragemacht den auf dem Absatzmarkt herrschenden Preisdruck durch mehrere Mechanismen, etwa Rabattforderungen, Androhung von Auslistungen und Reduzierung der abgenommenen Menge oder von Werbeaktionen, auf die Hersteller abwälzen.

Die Preisbildung auf dem Beschaffungsmarkt erfolgte bilateral in sogenannten Jahresgesprächen zwischen dem Einzelhändler und dem jeweiligen Hersteller, die sich über mehrere Monate hinzogen und im Abschluss einer Jahresvereinbarung mündeten. Die Vereinbarung umfasste alle Produkte, die ein Lieferant an den betreffenden Einzelhändler veräußerte. Die Hersteller übermittelten dem Einzelhandel üblicherweise einige Monate vor, spätestens zu Beginn der Jahresgespräche neue, von ihnen einseitig festgelegte Bruttopreise in sortimentsübergreifenden Listen. Hiervon ausgehend wurde über Rabatte, Skonti, Rückvergütungen, Werbeaktionen, Werbekostenzuschüsse und sonstige Vergütungen (Nachlässe) verhandelt. Der vom Einzelhändler effektiv zu zahlende Preis ergab sich aus dem Listenpreis des Herstellers abzüglich der in der Jahresvereinbarung vereinbarten Nachlässe.

Mit Bescheiden vom 08.12.2008, 22.03.2012 und 14.03.2013 verhängte das Bundeskartellamt gegen die Beklagten und den Markenverband e.V. Bußgelder. Nach den Feststellungen der bestandskräftigen Bußgeldbescheide verstießen die Beklagten gemeinsam mit den Streithelferinnen - in unterschiedlichem zeitlichen und sachlichen Umfang - durch ihre Beteiligung an einem zwischen dem 31.03.2004 und 23.11.2006 im Arbeitskreis praktizierten Informationsaustausch gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen.

Der Kläger macht geltend, Schlecker habe aufgrund des Kartells überhöhte Preise zahlen müssen. Die von Schlecker gezahlten Nettoeinkaufspreise seien je nach Produktgruppe und Hersteller zwischen 4,13 % und 18,38 % überhöht gewesen.

Er hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm wegen des Bezugs von kartellbedingt überteuerten Waren im Zeitraum von März 2004 bis Dezember 2007 Schadensersatz in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, mindestens 212.200.000 Euro zuzüglich Gutachterkosten in Höhe von 580.483,19 Euro, jeweils nebst Zinsen, zu zahlen sowie ihn von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 137.589,50 Euro freizustellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die dagegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.


Begründung: Eintritt eines kartellbedingten Preiseffekts hinsichtlich der Warenbezüge durch Austausch nicht öffentlich-wettbewerbsrelevanter Informationen

Mit dem vorliegenden Urteil vom 29.11.2022 - KZR 42/20 „Schlecker“ - hat der BGH zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kartellschadensersatz Stellung genommen und ist hierbei insbesondere auf den Schaden eingegangen.

Der BGH hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch des klagenden Insolvenzverwalters in Betracht kommt.

Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Als mögliche Anspruchsgrundlagen kommen § 33 S. 1, Halbsatz 2 GWB in der vom 01.01.1999 bis 30.06.2005 geltenden Fassung in Verbindung mit § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und § 33 Abs. 3 GWB in der vom 01.07.2005 bis 08.06.2017 geltenden Fassung in Verbindung mit § 33 Abs. 1 GWB in Betracht. Danach ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder gegen Art. 81, 82 EGV (jetzt: Art. 101, 102 AEUV) verstößt, zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet.

Nach Auffassung des BGH besteht hier ein schuldhafter Verstoß der Beklagten gegen Art. 81 EGV (jetzt Art. 101 AEUV) und § 1 GWB.

Das Bundeskartellamt hat in den gegen die Beklagten erlassenen Bußgeldbescheiden festgestellt, dass in Sitzungen des Arbeitskreises nicht öffentliche wettbewerbsrelevante Informationen ausgetauscht wurden und dass diese Abstimmung sich auf ihr Marktverhalten auswirkte. Es hat eine bezweckte, jedenfalls aber eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung bejaht, die spürbar und geeignet war, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen.

Diese Feststellungen in den Bußgeldbescheiden sind für den jeweiligen Adressaten des Bußgeldbescheides für den vorliegenden Rechtsstreit bindend.

Das Berufungsgericht hat außerdem zu Recht Schlecker als von dem Kartell betroffen angesehen.
Die Kartellbetroffenheit, die Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestandes eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist, setzt nur voraus, dass das wettbewerbsbeschränkende Verhalten geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil Schlecker von den am Kartell beteiligten Unternehmen Waren erworben hat, die Gegenstand des Kartells waren.

Nach Auffassung des BGH beruht die Annahme des Berufungsgerichts, es könne sich keine Überzeugung von einem Schaden Schleckers bilden, auf Rechtsfehlern.

Für Schlecker als Abnehmer kartellbeteiligter Unternehmen spricht ein Erfahrungssatz, dass die nach dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die Wettbewerbsbeschränkung gebildet hätten.

Auch bei einem kartellrechtswidrigen Austausch zwischen Wettbewerbern über geheime Informationen, die das aktuelle oder geplante Preissetzungsverhalten gegenüber einem gemeinsamen Abnehmer zum Gegenstand haben, ergibt sich aus der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens die tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür, dass die nach dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch gegenüber diesem Abnehmer erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die Wettbewerbsbeschränkung gebildet hätten.

Auch bei einem reinen Informationsaustausch ist eine Beeinflussung der Marktmechanismen hoch wahrscheinlich.

Im konkreten Fall spricht daher eine tatsächliche Vermutung für den Eintritt eines kartellbedingten Preiseffekts hinsichtlich der Warenbezüge von solchen Beklagten, die an dem Informationsaustausch über künftige Listenpreiserhöhungen beteiligt waren.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, die geringe Häufigkeit und begrenzte Dauer des Informationsaustauschs entkräfte den genannten Erfahrungssatz, berücksichtigt den Sachverhalt nicht umfassend. Zwar erhöht sich das Gewicht des Erfahrungssatzes, je länger und je nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde und je größer daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass es Auswirkungen auf das Preisniveau gehabt hat. Daraus ergibt sich aber im Umkehrschluss nicht, dass ein vergleichsweise kurzer - hier etwa zweieinhalb Jahre umfassender - Kartellzeitraum typischerweise ein gegen Preiseffekte sprechendes Indiz ist. Da die Jahresvereinbarungen für jedes Jahr neu verhandelt und geschlossen werden mussten, reichte bereits ein den jeweiligen Verhandlungen vorangehender einmaliger Informationsaustausch aus, um mithilfe der ausgetauschten Information auf das Verhandlungsergebnis Einfluss zu nehmen.

Daher genügte hier schon eine einmalige Teilnahme an einer Sitzung des Arbeitskreises, um einen wettbewerbswidrigen Erfolg herbeizuführen.

Da sich das Urteil des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, hat der BGH es aufgehoben.


Praktische Bedeutung des Urteils vom 29.11.2022, KZR 42/20

Der BGH hat in diesem Urteil erneut zu den Voraussetzungen eines Anspruchs eines Unternehmens auf Kartellschadensersatzes Stellung genommen. Der BGH weist hierbei auch darauf hin, dass es sich bei einem Kartellrechtsverstoß um eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung handelt, sodass grundsätzlich alle Kartellteilnehmer als Gesamtschuldner haften.

Soweit wie hier im Fall eine gesamtschuldnerische Haftung vorliegt, ist die Haftung der beklagten Unternehmen nach Auffassung des BGH nicht auf die jeweiligen Wettbewerbsverhältnisse und die dazu gehörenden Produktbereiche beschränkt. Die Haftung bezieht sich vielmehr auf alle Produktbereiche, auf denen eine Wettbewerbsbeschränkung tatsächlich vorliegt.
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