Digitalisierung im juristischen Umfeld? Viele waren damit sehr lange sehr zurückhaltend. Dann kam der coronabedingte Lockdown und traf Juristen in den unterschiedlichsten Positionen und Arbeitsumfeldern mit voller Wucht. Jens Dohmgoergen ist Legal Director bei Canon und hat die Digitalisierung seiner Abteilung schon vor fünf Jahren angestoßen. Im Interview berichtet er über den aktuellen Stand und wie er und seine Kolleginnen und Kollegen derzeit arbeiten.
Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag derzeit? Wie arbeiten Sie mit Ihren Kollegen und Mandanten?
Wie alle anderen Unternehmen waren natürlich auch wir gezwungen, relativ kurzfristig die Arbeit ins Homeoffice zu verlagern. Bis auf eine wechselnde Notbesetzung haben wir unternehmensweit alle Arbeitsplätze, bei denen sich das machen ließ, ins Homeoffice verlegt.
Für unsere Abteilung war dieser Wechsel vollkommen problemlos, weil wir bereits lange vor dem Lockdown unsere Prozesse weitestgehend digitalisiert hatten. Wir können wie gewohnt arbeiten. Aber natürlich ist vieles derzeit anders. Der spontane persönliche Austausch fehlt. Um das etwas aufzufangen, haben wir täglich um 9:30 Uhr den Good-Morning-Legal-Call etabliert. Für diese Meetings gibt es ganz bewusst keine Agenda. Wer Zeit hat, schaltet sich mit einer Tasse Kaffee zu, und wir erzählen einfach ein bisschen aus unserem Homeoffice-Alltag. Irgendwann kommt das Gespräch dann meist ganz automatisch auf Berufliches. Diese Kaffeeküchenatmosphäre ist für die Kommunikation im Team und den emotionalen Zusammenhalt sehr wichtig.
Welche Rolle spielen digitale Inhalte und digitale Softwarelösungen, die Sie derzeit nutzen?
Wir arbeiten zu fast 100 Prozent digital und das schon seit geraumer Zeit. Bereits 2015 haben wir die Entscheidung getroffen, komplett auf die elektronische Akte mit winra umzustellen. Wir hatten also schon erprobte Prozesse, als wir ins Homeoffice wechselten. Über eine VPN-Anbindung können wir von zu Hause aus problemlos und sicher auf alles zugreifen, was wir brauchen.
Bitte beschreiben Sie die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf die Fortführung Ihrer Arbeit und mit welchen Maßnahmen haben Sie darauf reagiert, mobil/im Homeoffice zu arbeiten?
Anfangs stellte uns die Eingangspost vor Herausforderungen, die weiterhin händisch verteilt werden musste. Mittlerweile haben wir aber auch eine digitale Poststelle. Die war vor dem Lockdown schon in Planung, ist deswegen jetzt aber noch schneller realisiert worden. Alle eingehende Post wird nun gescannt und den Adressaten elektronisch übermittelt.
Eine Herausforderung war das Thema Unterschriftsleistung. Wir haben zunächst über unsere Notbesetzung sichergestellt, dass immer mindestens zwei Unterschriftsberechtigte in unserer Zentrale verfügbar waren. Doch auch das ändert sich gerade, weil uns das schon länger gestört hat. Wir hatten immer am Ende der elektronischen Prozesskette einen Medienbruch, weil ein Vertrag dann doch ausgedruckt, von Hand unterschrieben und abgeheftet werden musste. Wir implementieren gerade ein Tool zur elektronischen Unterschriftsleistung. Das komplettiert dann den Prozess der elektronischen Arbeit.
Wie war Ihre persönliche Einstellung gegenüber dem Thema Digitalisierung und die Ihres Arbeitsumfelds/Arbeitsgebers vor dem Lockdown?
Ich persönlich habe eine große Affinität zum Digitalen, und war einfach genervt von unseren Papierakten, die nie da waren, wo man sie gerade brauchte, sehr fehleranfällig waren und nie so gepflegt wurden, wie man es eigentlich hätte machen sollen. Das führte zu großer Unübersichtlichkeit und fehlender Effizienz. Hinzu kommt, dass Canon als Marke natürlich sehr stark für digitales Office- und Dokumentenmanagement steht. Insofern war hier die Bereitschaft, das Legal Department vergleichsweise früh zu digitalisieren, sehr groß. Bei einigen stieß das Thema aber natürlich auf Bedenken. Wenn man etwas neu einführt, braucht man immer eine ganze Weile, die Kollegen davon zu überzeugen, ihre Arbeitsweise umzustellen, denn das ist mit Mühe und der Aufgabe des Gewohnten verbunden. Aber eine solche Umstellung muss konsequent durchgeführt werden. Es ist wenig effektiv, einfach mit der elektronischen Akte einen neuen Speicherort zu schaffen und ansonsten alles zu belassen, wie es war. Man muss auch die Prozesse ändern. Als klar wurde, dass weiterhin Dokumente auf dem Server abgelegt wurden, habe ich diesen kurzerhand abgeklemmt und so alle gezwungen, ihre Arbeitsweise umzustellen. Nach zwei Wochen waren tatsächlich alle völlig überzeugt. Für uns war das wie die Entdeckung des Feuers!
Wie bewerten Sie generell das Thema Digitalisierung für Ihre Arbeit heute? Wo sehen Sie Vor-, wo Nachteile?
Es fallen mir keinerlei Nachteile ein, dafür umso mehr Vorteile. Unsere Arbeit ist durch die Digitalisierung sehr viel effizienter geworden. Fristenkontrolle oder generelles Controlling zum Beispiel sind unschlagbar gut handhabbar. Das dezentrale, ortsunabhängige Arbeiten ist ein weiterer. Alles ist übersichtlicher, verlässlicher und auch sicherer.
Ein Blick in die Zukunft: Wie wird es in Sachen Digitalisierung in Ihrem Arbeitsbereich Ihrer Einschätzung nach Corona weitergehen?
Welche Entwicklung erwarten Sie? Die Welt – auch die juristische – wird immer komplexer, wir bekommen aber in den Rechtsabteilungen und auch in den Kanzleien nicht unbegrenzt mehr Ressourcen, so dass man mit analogen Mitteln sehr bald an Kapazitätsgrenzen stoßen wird. Deshalb ist Digitalisierung unerlässlich.
Einfache, wiederkehrende Vorgänge lassen sich über Self-help-Tools aus den Rechtsabteilungen auslagern. Damit werden bei uns Juristen Kapazitäten frei, um komplexere, individuelle Fragestellungen zu bearbeiten.
Das Homeoffice wird sich weiter durchsetzen. Es hat sich gezeigt, dass wir mit der digitalen Infrastruktur, die wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, sehr gut und effizient dezentral zusammenarbeiten können. Auch mit dem Betriebsrat sind wir da auf einem guten Weg. Wir haben nun einen soliden rechtlichen Rahmen für das mobile Arbeiten geschaffen. Das erleichtert es, Mitarbeitern das Arbeiten außerhalb unserer Büros zu ermöglichen. Ob sie das dann zu Hause oder in einem Café machen, spielt dann keine Rolle mehr.