Die Zukunft der Legal Tech liegt in Apps
Von Blockchain bis eDiscovery – unter dem Schlagwort Legal Tech finden sich immer mehr Trendthemen, die massiv die Arbeit der Rechtsabteilung beeinflussen sollen. Wie schätzen Sie das Ausmaß der Veränderungen ein?
Winkler: Natürlich verändert die Digitalisierung die Arbeit in der Rechtsabteilung, wie in allen Unternehmensbereichen. Bei vielen Themen jenseits von klassischem Dokumentenmanagement oder Rechnungsabwicklung sind wir engagiert. Andere eignen sich eher für Leuchtturmprojekte, weil der Technologie noch der Reifegrad für einen Einsatz auf breiter Basis fehlt. Generell sehe ich zwei Risiken: Zu überschätzen, was schnell möglich ist. Und zu unterschätzen, welchen Aufwand der gewinnbringende Einsatz einer Lösung erfordert.
Wie sollten Unternehmensjuristen also das Thema Legal Tech im Allgemeinen und einzelne Lösungen im Speziellen angehen?
Brambilla: Ich würde – unabhängig von Unternehmensgröße und Branche – immer raten: Nicht von einem Trendthema zum nächsten hüpfen, sondern das Sinnvolle geplant umsetzen. Also die Digitalisierung dort vorantreiben, wo sie etwas bewegt. Ein Legal Tech-Projekt beginnt mit der Beschreibung des Use Case: Welche Aufgabe ließe sich mithilfe der technischen Lösung besser erfüllen? Dann folgt ein Lastenheft zur Beschreibung der Anforderungen. Dies sollte ein Jurist nicht allein erstellen, sondern in Absprache mit IT-Experten. Wichtig ist zudem, von Anfang an die nötigen Investitionen und das Einbinden der Mitarbeiter im Blick zu haben. Was genau ist der Use Case? Wie viel Geld kostet die Lösung? Wie nehme ich die Beschäftigten mit und qualifiziere sie, damit sie das neue Tool auch einsetzen können? Auf diese Fragen braucht man Antworten, mit dem reinen Aufspielen einer Software ist es nicht getan. Generell kann man sagen, dass mehr IT Expertise im Rechtsbereich gebraucht wird, z.B. Data Scientists.
Wie identifizieren Sie bei Daimler die passenden neuen Denkansätze oder Lösungen?
Winkler: Wir legen unsere strategischen Ansätze intern fest und haben Partner, mit denen wir Entwicklungen diskutieren. In den Kanzleien ist das Thema angekommen, und gerade große Anbieter lancieren zunehmend interessante Produkte. So manche Idee entsteht im Unternehmen, abhängig von den Use Cases. Viele Mitarbeiter haben längst Erfahrung mit Apps für verschiedene Aufgaben im privaten wie beruflichen Einsatz und wissen zudem, welcher Teil ihrer Arbeit sich durch technische Lösungen effizienter gestalten ließe. Solche Anregungen sollte man nutzen. Wir haben bei einem globalen Meeting einen Ideenwettbewerb unter dem Motto „Daimler Legal 2025“ ausgerufen. Es bildeten sich fünf Teams, die über Kontinente hinweg cross-divisional und -funktional großartige Ideen für das künftige Arbeiten in der Rechtsabteilung entwickelt haben.
Das sind dann aber eher kleine Lösungen?
Brambilla: Die Zukunft der Legal Tech liegt in schlanken, aufgabenorientierten IT-Lösungen, bei denen User und Interface im Vordergrund stehen. Der Trend zum großen Expertensystem, das die Rechtsabteilung in allen Facetten ihrer Arbeit unterstützt, ist aus meiner Sicht überkommen. Ich sehe eine Entwicklung Richtung Apps, die im Baukastensystem funktionieren. Für spezielle Aufgaben der Rechtsabteilung gibt es jeweils maßgeschneiderte Programme. Sie laufen parallel, sind leicht zu bedienen und verbinden die Rechtsabteilung mit den Fachbereichen.
Bergen solche Apps nicht das Risiko, viele Insellösungen zu betreiben?
Winkler: Wichtig ist, dass es eine gemeinsame Basis gibt und die Apps darauf aufsetzen können. Wie so etwas aussehen kann und welche Apps sinnvoll sind, ergibt sich aus der Frage: Wie will die Rechtsabteilung in fünf oder zehn Jahren arbeiten? Aus meiner Sicht geht es darum, mithilfe technischer Lösungen kontinuierlich die Effizienz zu steigern. Ein General Counsel weiß heute nicht, welche Aufgaben in drei Jahren auf seinen Bereich zukommen werden. Aber er weiß, dass er Antworten oft innerhalb weniger Tage liefern muss. Bei einem Shitstorm im Internet übrigens wäre das schon jetzt nicht schnell genug – da ist eine rechtliche Einschätzung, welche Reaktion sich anbietet, bereits am selben Tag erforderlich.