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Recht & Verwaltung17 August, 2022

Das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Angeklagten nach § 362 Nr. 5 StPO

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
Die Frage, ob § 362 Nr. 5 StPO verfassungskonform ist und damit Grundlage sowohl für das Wiederaufnahmeverfahren als auch für die erneute Strafverfolgung des Beschwerdeführers, konkret die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft zur Sicherung der Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens, sein kann, ist offen. Ihre Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Sachverhalt

Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, im Jahr 1981 eine Schülerin vergewaltigt und getötet zu haben. Das daraufhin gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren endete 1983 mit einem Freispruch. Im Februar 2022 wurde es wegen neuer Beweismittel aufgrund des am 30.12.2021 in Kraft getretenen § 362 Nr. 5 StPO wieder aufgenommen. Zugleich wurde ein Haftbefehl erlassen. Der Beschwerdeführer befindet sich in Untersuchungshaft.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 3 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG
Zugleich beantragt er, den Haftbefehl im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Vollzug zu setzen.


Begründung

Mit dem vorliegenden Beschluss vom 14.07.2022 - 2 BvR 900/22 - hat das BVerfG zur Anordnung von Untersuchungshaft in einem strafprozessualen Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Freigesprochenen Stellung genommen.

Das BVerfG hat entschieden, dass der gegen den Beschwerdeführer erlassenen Haftbefehl unter der Anordnung mehrerer Maßnahmen zur Sicherung des Strafverfahrens außer Vollzug gesetzt wird. 

Das BVerfG erläutert, dass die Verfassungsbeschwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre, überwiegen.

Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass geeignete, im Vergleich zur Untersuchungshaft weniger eingreifende Maßnahmen zur Minimierung der Fluchtgefahr getroffen werden. Der weitergehende Antrag auf uneingeschränkte Außervollzugsetzung des Haftbefehls hat daher keinen Erfolg. Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.

Nach § 362 Nr. 5 StPO ist die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.

Die Frage, ob § 362 Nr. 5 StPO verfassungskonform ist und damit Grundlage sowohl für das Wiederaufnahmeverfahren als auch für die erneute Strafverfolgung des Beschwerdeführers, konkret die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft zur Sicherung der Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens, sein kann, ist offen. Ihre Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Im Schrifttum wird die Neuregelung intensiv und kontrovers diskutiert. 

Einige Autoren halten § 362 Nr. 5 StPO für verfassungskonform. Andere sehen die Norm aus unterschiedlichen Gründen als verfassungswidrig an. 

Neben einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG beziehungsweise seinen Kerngehalt werden Verletzungen des Rückwirkungsverbots, des Bestimmtheitsgrundsatzes, des Gleichheitssatzes und der Unschuldsvermutung sowie der Menschenwürde erörtert.

Die daher vorzunehmende Folgenabwägung gebietet den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, den Vollzug des Haftbefehls unter Anordnung der im Tenor aufgeführten Maßnahmen auszusetzen. Diese enthalten unter anderem die Bedingung, dass der Beschwerdeführer vorhandene Ausweispapiere (Personalausweis und Reisepass) zu den Akten des Landgerichts gibt, und er angewiesen wird, sich zweimal wöchentlich bei der von der Staatsanwaltschaft Verden (Aller) zu bestimmenden Dienststelle nach näherer zeitlicher Festlegung durch diese zu melden.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, drohten dem Beschwerdeführer erhebliche und irreversible Nachteile. Er würde nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Landgericht voraussichtlich bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in Untersuchungshaft bleiben, wenn nicht vorher über die Verfassungsbeschwerde entschieden wird.


Praktische Bedeutung

Eine Klärung der Frage, ob die umstrittene Vorschrift § 362 Nr. 5 StPO verfassungsmäßig ist, gegen die auch der Bundespräsident Bedenken vorgebracht hat, bleibt abzuwarten.

Das BVerfG weist in dieser Entscheidung auch darauf hin, dass die Untersuchungshaft einen besonders intensiven Grundrechtseingriff darstellt und außerdem nachträglich nicht mehr korrigierbar sei. Die möglichen Grundrechtsverletzungen wiegen daher nach Auffassung des BVerfG schwer, falls sich herausstellt, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat.
Bildnachweis: Blackosaka/stock.adobe.com
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