Elwine Kaschner, Patentanwaltsfachangestellte, Ausbildungsleiterin und Personalreferentin sowie Mitglied in der Prüfungskommission der Patentanwaltskammer
Recht & Verwaltung13 Februar, 2023
Das Einheitspatent: Frischer Wind in der Patentwelt – Herausforderung für Ausbildung und Formalsachbearbeitung (Teil 1/2)
Nach Jahren der Vorbereitung mit einer Vielzahl von Höhen und Tiefen befindet sich das Einheitspatentsystem auf der Zielgeraden und wird voraussichtlich am 1. Juni 2023 starten.
Das Einheitspatentsystem umfasst mit dem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung, häufig einfach kurz als Einheitspatent bezeichnet, und dem Einheitlichen Patentgericht (EPG) zwei wichtige Säulen zur Stärkung des Patentschutzes in Europa.
Neben der deutschen Bezeichnung „Einheitspatent“ ist auch die Verwendung der englischen Abkürzung „UP“ (Unitary Patent) hierfür sowie „UPC“ (Unified Patent Court) für das Einheitliche Patentgericht üblich.
Nicht nur Patent- und Rechtsanwälte müssen sich auf das neue System vorbereiten, um Mandanten optimal beraten zu können. Vielmehr sind auch Formalsachbearbeiter, wie beispielweise Patentanwaltsfachangestellte, angehalten, sich ein fundiertes Wissen anzueignen, um ihre Anwälte optimal unterstützen zu können.
Aufgrund der zentralen Bedeutung des Einheitspatents ist davon auszugehen, dass der Weg zum Einheitspatent sowie die Rolle des Einheitlichen Patentgerichts Einzug in den Berufsschulunterricht für Patentanwaltsfachangestellte finden wird.
Parallel zum Berufsschulunterricht sollten Auszubildende auch im Ausbildungsbetrieb die Möglichkeit bekommen, beispielsweise bei der Vorbereitung eines Antrags auf einheitliche Wirkung, mitwirken zu dürfen, um somit das theoretisch erworbene Wissen in der Praxis umsetzen zu können.
Dieser Artikel soll die wichtigsten Grundstrukturen des neuen Systems, die man im Rahmen der Formalsachbearbeitung kennen sollte, zusammenfassen.
Einheitlicher Charakter des Einheitspatents
Das Einheitspatent ist ein klassisches europäisches Patent, das nach dem europäischen Patentüberkommen (EPÜ) erteilt wird. Das bisher bekannte europäische Anmelde-, Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren bleibt dabei unverändert.
Auf Antrag des Patentinhabers entfaltet das Einheitspatent in den EU-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) ratifiziert haben, nach der Erteilung eine einheitliche Wirkung.
Folgende Graphik zeigt den aktuellen Ratifikationsstand (Stand: Januar 2023):
Das Einheitspatent hat einen einheitlichen Charakter.
Es bietet einheitlichen Schutz und hat gleiche Wirkung in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten. Es kann nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen (Art. 3(2) EPV).
Es bietet einheitlichen Schutz und hat gleiche Wirkung in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten. Es kann nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen (Art. 3(2) EPV).
Übergangsmaßnahmen – Sunrise Period - Startdatum
Der Beginn der Sunrise Period (= Einführungsphase des EPG) ist derzeit für den 1. März 2023 vorgesehen. Nach jetzigem Informationsstand kann das Einheitspatent ab 1. Juni 2023 beantragt werden.Bereits seit 1. Januar 2023 gewährt das Europäische Patentamt (EPA) Anmeldern, die ein Einheitspatent erlangen möchten, folgende Übergangsmaßnahmen:
- Stellung eines frühen Antrags auf einheitliche Wirkung (Form 7000)
- Stellung eines Antrags auf Verschiebung der Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents (Form 2025; Antrag auf Verschiebung kann vor Erledigung der Mitteilung nach Regel 71(3) EPÜ oder spätestens am Tag der Erledigung eingereicht werden; wird der Antrag nach Erledigung der Mitteilung nach Regel 71(3) EPÜ eingereicht, gilt er als nicht gestellt).
Die beiden Übergangsmaßnahmen sind für europäische Patentanmeldungen anwendbar, für die nach dem 1. Januar 2023 eine Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ versandt wurde und gelten bis zum Inkrafttreten des EPGÜ.
Über 1000 Anträge auf einheitliche Wirkung oder Aufschub der Erteilung sind laut einer Mitteilung des EPA über eine bekannte Social-Media-Plattform in diesem Jahr bereits eingegangen.
Sobald die Sunrise Period beginnt, kann Opt-out vor dem EPG erklärt werden. Dies gibt den Patentinhabern die Möglichkeit, sich der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG zu entziehen, bevor eine Verletzungs- oder Nichtigkeitsklage bei diesem Gericht eingereicht werden kann.
Schutzumfang
Das Einheitspatent wird ein europäisches Patent sein, das einen einheitlichen Patentschutz in den 17 Ländern der EU (siehe Graphik zum Ratifikationsstand) gewährt, die das EPGÜ derzeit ratifiziert und die Ratifikationsurkunde hinterlegt haben.
Man kann davon ausgehen, dass in absehbarer Zeit weitere EU-Mitgliedstaaten, die noch nicht dem EPGÜ beigetreten sind, hinzukommen werden.
Der geografische Geltungsbereich eines Einheitspatents bleibt über dessen gesamte Lebensdauer hinweg gleich. Streichen oder Ergänzen einzelner Staaten ist bei einem Einheitspatent weder bei der Registrierung noch über die Laufzeit hinweg möglich.
Eine Ausdehnung auf Staaten, die das EPGÜ erst nach der Eintragung der einheitlichen Wirkung ratifizieren, ist ebenfalls nicht möglich.
So geht es weiter im zweiten Teil unserer Artikelserie zur Formalsachbearbeitung im Einheitspatent...
Im zweiten Teil unserer Artikelserie zur Formalsachbearbeitung im Einheitspatent erklärt Ihnen unsere Expertin unter anderem, welche Punkte von Seiten der Formalsachbearbeitung für die Erlangung der einheitlichen Wirkung beachtet und umgesetzt werden müssen sowie was unternommen werden kann, wenn der Antrag auf einheitliche Wirkung und die Übersetzung nicht innerhalb der 1-monatigen Frist eingereicht werden. Lesen Sie hier den zweiten Teil!Unsere Empfehlung zum Thema
Einheitspatentsystem – Kommentar
Voraussichtlich im Juni 2023 wird das Einheitliche Patentgericht seine Arbeit aufnehmen und werden Einheitspatente beantragbar sein. Dieser konzise Handkommentar gehört in die Bibliothek eines jeden Praktikers, der sich mit dem Einheitspatentsystem beschäftigt.
Hinweis: Die Neuauflage ist voraussichtlich ab dem 15. Juli 2023 verfügbar. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie eine Benachrichtigung, sobald der Titel erhältlich ist.
Bildnachweis: rogerphoto/stock.adobe.com
monatlicher newsletter
Stets informiert.
Erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten aus dem gewerblichen Rechtsschutz z.B. rund um das Patent- und Wettbewerbsrecht.
Teil II
Das Einheitspatent: Frischer Wind in der Patentwelt – Herausforderung für Ausbildung und Formalsachbearbeitung (Teil 2/2)
Alles Wichtige zur Formalsachbearbeitung im Einheitspatent, wie der Antrag auf einheitliche Wirkung, einzuhaltende Fristen, die Jahresgebühr oder das opt-out Verfahren.
Neuigkeiten aus dem Gewerblichen Rechtsschutz
-
ArtikelRecht & VerwaltungDezember 12, 2023A View from the UPCInterview with Tobias Pichlmaier, Presiding Judge at the Munich Higher Regional Court and part time judge at Munich Division of the Unified Patent Court.
-
ArtikelRecht & VerwaltungNovember 21, 2023BGH zur NichtigkeitsberufungsfristIm unlängst veröffentlichen Urteil X ZR 96/21 –interessanterweise keine Leitsatzentscheidung, obwohl von Bedeutung - hat sich der Bundesgerichtshof zum Fristenregime bei Nichtigkeitsberufungsklagen geäußert.
-
ArtikelRecht & VerwaltungOktober 04, 2023Einheitliches Patentgericht: Zweimalige Verweigerung der Akteneinsicht DritterIn zwei nahezu gleichlautenden Anordnungen, einmal ORD_550152/2023 sowie ORD_552745/2023, hat der in beiden Fällen berichterstattende Richter Andras Kupecz einen Antrag auf Akteneinsicht Dritter verweigert.
-
ArtikelRecht & VerwaltungSeptember 19, 2023EPG: Die erste Regel-19-Anordnung betreffend parallele Verletzungs- und NichtigkeitsklageNach einer mündlichen Anhörung hat das Einheitliche Patentgericht (EPG) in der Sache CFI-1/2023 die erste Anordnung gemäß Regel 19 erlassen.
