von Waltraud Weegmann | Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands
und Romano Sposito | Büroleiter Stuttgart des Deutschen Kitaverbands
Corona-Jahr: Deutscher Kitaverband fordert Beachtung der Kinderrechte
Der 2018 gegründete Deutsche Kitaverband ist Sprachrohr der sozialunternehmerischen Kitaträger in Deutschland. Im Corona-Jahr 2020 machte er sich dafür stark, allen Kindern den Besuch ihrer Kita zu ermöglichen. Denn die Kindertagesbetreuung ist ein zentraler Lern- und Sozialisationsort für die Jungen und Mädchen. Um die Gesundheit von Kindern und Beschäftigten zu schützen, schlug 2018 gegründete Verband eine Reihe von Maßnahmen vor. Das Engagement zeigte Wirkung: Kitas sind als Bildungsinstitutionen stärker in den Fokus gerückt.
2020 geschah etwas noch nie Dagewesenes: Alle Kindertagesstätten mussten schließen. Nach einiger Zeit konnten die Träger jedoch zumindest eine Notbetreuung anbieten. Es folgten eine Öffnung in reduziertem Umfang sowie ein Regelbetreib unter einschränkenden Pandemiebedingungen. Nach einer kurzen, relativ entspannten Phase im Sommer, ging die Entwicklung anschließend wieder rückwärts bis hin zu einem erneuten Lockdown, in dem nur eine Notbetreuung aufrechterhalten wurde.
Kita-Schließungen: Rechte der Kinder „übersehen“
Im ersten Lockdown fiel auf: Die Diskussion im Zusammenhang mit den Kita-Schließungen fokussierte sich auf die Frage, was diese Maßnahme für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bedeutet, das heißt, welche Effekte auf berufstätige Eltern und damit auf die Wirtschaft zu erwarten sind. Nach dem Wohl der Kinder krähte sprichwörtlich kaum ein Hahn. Dabei sprechen wir bei Kita-Schließungen von der Beschneidung zentraler Kinderrechte – des Rechts auf Bildung und angemessene Förderung, des Rechts auf Gesundheit und Wohlergehen sowie auf Sozialkontakte.
Manche Kinder zu Hause in Gefahr
Mit fehlender Kita-Betreuung sind Kinder allein auf ihr familiäres Umfeld zurückgeworfen. Viele Familien sind in der Lage, ihren Kindern trotz der angespannten Gesamtsituation ein gutes Zuhause, liebevolle Fürsorge und einen relativ anregenden Alltag zu bieten. Doch längst nicht alle können das leisten. Mädchen und Jungen, die in schwierigen und belasteten Familienkonstellationen leben, sind in dieser Ausnahmesituation besonders gefährdet. Die kompensierende Funktion der Kita entfällt und auch eine soziale Kontrolle ist kaum noch vorhanden – ein hohes Risiko für Gesundheit und Wohlergehen vieler Kinder.
Für alle wichtig: Vielfältige Förderung in der Kita
Doch allen Kindern, denen der Besuch ihrer Kita verwehrt bleibt, fehlt etwas: Denn sie benötigen den Kontakt zu Gleichaltrigen, mit denen sie im vertieften Spiel Rollen erproben, Ideen austauschen, diskutieren und soziales Verhalten einüben können. Sie wachsen an den zahlreichen entwicklungsfördernden Impulsen durch eine anregungsreiche Umgebung, von viel Platz, Bewegungsfreiheit und Spielräumen. Sie profitieren von ausgebildetem Personal, das sie bei ihrer Weltaneignung feinfühlig begleitet, unterstützt und vielfältige Rollenvorbilder bietet. Der Kita-Besuch spielt daher eine maßgebliche Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung und die Bildungsbiografie der Kinder.
Die Kindheit ist kurz
Kindertagesstätten, Kindertagespflegestellen und Horte sind zentrale Lern- und Sozialisationsräume für die Jungen und Mädchen, die ihnen erhalten bleiben müssen. Denn die Kindheit ist kurz und Kinder entwickeln sich schnell. Einige Monate sind daher eine entscheidend lange Zeitspanne in einem Kinderleben.
Lobby für Kinder formiert sich
Der Deutscher Kitaverband. Bundesverband freier unabhängiger Träger von Kindertagesstätten e.V. und andere Initiativen wie #kinderbrauchenkinder, die sich zum Teil in der Corona-Zeit entwickelten, wurde nicht müde, auf diese Tatsachen hinzuweisen. Der Deutsche Kitaverband fordert eine Strategie, die den Schutz vor Corona mit der Aufrechterhaltung der Kita-Betreuung verbindet und machten Vorschläge, wie eine Umsetzung aussehen könnte.
Lösungsvorschläge entwickelt
Wir entwickelten dafür einen Stufenplan, der sich an den Inzidenzwerten (Zahl der Neuinfektionen in einer Region pro Woche auf 100.000 Einwohner*innen gerechnet) orientiert. Träger könnten sich so auf allen Szenarien vorbereiten und kurzfristig das Betreuungssetting anpassen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, Kitas mit mobilen Luftreinigungsgeräten auszurüsten, die auch dann noch für keimfreie Luft in den Räumen sorgen, wenn häufiges und langes Lüften aus Temperaturgründen unmöglich ist.
Großes Medieninteresse
Unser Engagement, allen voran eine rege Pressearbeit, zeigte Wirkung: Viele Medien, Tageszeitung im ganzen Bundesgebiet, zahlreiche Hörfunkanstalten und Fernsehsender berichteten über unsere Forderungen, führten Interviews mit uns und multiplizierten so unsere Anliegen.
Diskussion verändert sich
Inhaltlich zogen wir mit anderen Verbänden an einem Strang. So gelang es uns gemeinsam, den Fokus der Diskussion zu verändern. Die Kita rückte als Bildungseinrichtung in den Blick, auf deren Besuch die Kinder ein eigenes Recht haben – ganz unabhängig vom Status ihrer Eltern und deren Berufen.
Das neu erwachte gesellschaftliche Interesse an der Kitabetreuung ermöglichte es uns, auch andere drängende Aspekte in diesem Bereich anzusprechen, allen voran den Fachkräftemangel und die Kita-Qualitätsentwicklung. Nun hoffen wir, dass das Interesse anhält, wir auch zu diesen Themen in der Diskussion bleiben und positive Entwicklungen initiieren können.
Was wird kommen?
Wie es künftig weitergeht, ist heute genauso ungewiss wie zu Beginn der Pandemie. Bislang legten wissenschaftliche Studien nahe, dass gerade von jungen Kindern ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko ausgeht – ein gutes Argument dafür, Kitas weiterhin offen zu halten. Eine Mutation des Virus könnte einen erneuten Nachweis dafür nötig machen und uns unter Umständen diesen Trumpf aus der Hand nehmen. Ab wann die Impfkampagne Wirkung zeigt und dadurch Lockerungen möglich sein werden, ist ebenfalls kaum absehbar. Soviel ist gewiss: Kitas gehören zur unverzichtbaren Infrastruktur unseres Landes. Das Kita-System muss auf ein besseres Fundament gebaut werden, damit es in Zukunft krisenfester ist, z.B. durch eine bessere räumliche und technische Ausstattung.
Fazit
Der Beginn der Corona-Pandemie zeigte: In Krisensituationen geraten die eigenständigen Rechte der Kinder auf ihre eigenen Ziele, auf ihre Selbstverwirklichung sowie auf eine gute Bildungsentwicklung schnell ins Hintertreffen. Im Verlauf des Jahres gelang es dem Deutschen Kitaverband gemeinsam mit zahlreichen anderen Initiativen, die Diskussion zu verändern. Die Rechte der Kinder, zu deren Umsetzung der Kita-Besuch maßgeblich beiträgt, rückten in den Blick. Verantwortliche in Politik und Gesellschaften nahmen Kindertageseinrichtungen verstärkt als die zentralen Bildungsinstanzen wahr, die sie heute sind, und richteten ihr Handeln daran aus. Mit dem Fortgang der Pandemie war und ist immer wieder ein Abwägen nötig, inwieweit der Schutz vor dem Virus die Beschneidung wichtiger Rechte für Kinder und Erwachsene rechtfertigt und ob die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind. Der Deutsche Kitaverband wird auch in Zukunft die Entscheidungsfindung mit Vorschlägen begleiten und dabei die Rechte der Kinder immer wieder neu in Erinnerung rufen.