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Recht & Verwaltung20 Mai, 2021

Work-Life-Balance – wie geht das aus Sicht der Kitaleitung in schwierigen Zeiten?

Marie-Anne Raithel | Heilpraktikerin für Psychotherapie, EMDR-Therapeutin (DGMT/ VDH)

Resilienz im Team fördern – Potenziale entwickeln – Beziehung stärken
Dass Kitaleitungen in dieser besonderen Zeit krisenerprobt sind und über besondere Ressourcen verfügen müssen, dessen konnte ich mir als Fortbildnerin und Kursleiterin immer wieder neu und anders in diesem Jahr der Herausforderungen gewahr werden. Erstaunt über einen routinierten Umgang mit Verordnungen sowie der Umsetzung von Hygieneregeln, die je nach aktueller Lage auch immer wieder neu angepasst und für alle im System Kita mitbedacht werden müssen, sind umfassende organisatorische Fähigkeiten gefragt, die die Kitaleitung mit ihrem Team immer wieder neu zu stemmen hat.

Gleich zu Beginn der Zeit in Kitas unter besonderen Bedingungen planten Kitaleiter*innen mit ihren Teams noch ein Jahr im voraus Fortbildungen, die genau das Thema zum Inhalt hatten. In Gesprächen, die ich regelmäßig vor Abschluss eines Kitajahres mit Leiter*innen führe, wurde ein hoher Bedarf an Weiterbildungen kommuniziert. Die Fortbildungsinhalte zu Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben konnten jeweils für eine Kita gut auf den Punkt gebracht werden. Mit dem Wissen und dem Rückgriff auf Veranstaltungen und Coachings glaubten daher viele Kitaleitungen noch zu Beginn der Krise, dass sie über eine kleine Durststrecke aus eigener Kraft kommen werden. Im Laufe der weiteren Entwicklung gewann die Planung auf Sicht an hoher Bedeutung und das Thema Work-Life-Balance wurde weiterverfolgt und nach Lösungen für das Zustandekommen von Seminaren gesucht.

O-Ton einer Kitaleiterin

Die Aussage einer Kitaleiterin kurz vor dem ersten Lockdown in der Corona-Zeit erscheint mir bedeutend, als sie sagt, dass sie es jetzt für unabwendbar halte auch Komfortzonen zu verlassen. Sie sei stark gefordert, ohne genau zu wissen, wo es langgehe, aber der Optimismus, dass alles gutgehe, überwiege. Jetzt sei für ihr Team wichtig, so konstatiert sie, dass eine Fortbildung durch den eigenen Körper gehen müsse, um auch Veränderungen anstoßen zu können.

Konkret nachgefragt antwortet sie, dass sie auch nicht genau wisse, was dies bedeute und wie das gehe. Damit ihr Team aber gute Erfahrungen machen könne, um Beruf und Privatleben mehr auszubalancieren, wolle sie jetzt Inhouse-Veranstaltungen für die Fachkräfte anbieten. Sie hoffe sich damit auch selbst etwas mehr zurücknehmen zu können, um ihren Leitungsaufgaben nachzugehen, für die sie sich allerdings nicht vorbereitet sehe. Spürbar wird in dieser kurzen Zeit, wie wichtig es für sie als Leiterin einer Kita ist auch auf die eigene Work-Life-Balance zu achten.

Die Notwendigkeit von Präsenzveranstaltungen unterstrich sie und sagte, dass Inhalte von Fortbildungen jetzt noch einmal neu überdacht und ausgerichtet werden müssen. Sie spreche auch in den Teamsitzungen regelmäßig über die Bedürfnisse in diesen schwierigen Zeiten und ermutige die Mitarbeiter*innen zu Weiterbildungen. Für sich selbst wolle sie Coachings beantragen, um auch ihr Team gut führen zu können, um zu wissen wo genau die Bedürfnisse des Teams liegen und worin sie sich ihren Ausdruck verschaffen. Dies ginge im Kitaalltag einfach unter, obwohl ihr bewusst sei, dass die unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu integrieren seien. Da sei es sicher hilfreich sich selbst zu stärken und gleichzeitig dem Team etwas anzubieten.

Herausforderungen annehmen – Führen am Limit

Die geplanten Veranstaltungen konnten in der Zeit des Lockdowns zunächst nicht umgesetzt werden. Die Kontakte zu den Kitaleiter*innen wurden jedoch in der Zeit aufrechterhalten. Oftmals war es eine E-Mail oder ein Telefonat in der Mittagspause, das geführt wurde. Jetzt wurde gerade das Persönliche, der Kontakt nach außen mit einem Gefühl einer großen Dankbarkeit kommuniziert. Viele Leiter*innen machten sich bereits zu diesem Zeitpunkt große Gedanken um die Gesundheit aller im System. Wobei sich mir öfters die Frage stellte, wie wohl jede Führungskraft für sich und ihr Team auch den Begriff „Gesundheit“ definiert haben mag. Mit Wiedereintritt in den Regeldienst wurde das Thema Work-Life-Balance noch stärker fokussiert. Sehr konkret wurden Themen wie Stress und Prophylaxe für eine körperliche und psychische Gesundheit im System Kita laut.

Anerkennen, was gerade ist!

Kitaleitungen, Leitungsteams in Bildungseinrichtungen und Ministerien mussten mit dem hohen Personalmangel, der aus krankheitsbedingten Ausfällen von Personal, Kündigungen kurz nach Eintritt in den Job sowie Nichteinsatz von Mitarbeiter*innen aus Risikogruppen in Kitas massiv zu Überforderungen führte, zurechtkommen.

Ein Telefonat mit der Kitaleiterin einer integrativen Kita im 2. Lockdown-light ließ mich noch einmal aufhorchen, als diese konstatierte, dass eine sehr harte und schwere Zeit hinter ihr liege und sie regelrecht ein tiefes Tal durchschritten habe. Auch wenn sie diese Not laut vor ihrem Team geäußert habe, sei sie in der Nacht von ihrem Gedankenkarussell im Kopf malträtiert worden. Zeitweise habe sie alles hinwerfen und sich wieder in die Reihe der Gruppenleiterinnen einreihen wollen. In ihrem Leben habe sie für private und berufliche Belange durchweg eine sehr gute Struktur gehabt und gewusst, wie sie die Dinge managen könne. Aber nach den langen Wochen des ersten Lockdowns sei sie in einer kompletten Überforderung gewesen und habe auch an sich selber ehrlicherweise feststellen müssen, dass sie nur noch sehr wenig strukturiert sei. Der Versuch, quasi alles, was an einem Tag an Aufgaben zu erledigen gewesen sei auch abzuarbeiten sei aber kaum zu bewältigen und zu managen gewesen. Dass dies auf Dauer nicht gut gehen konnte, habe sie kommen sehen, sagt sie ziemlich leise am Telefon. Und doch gibt es eine Wende in diesem Telefonat, als die Leiterin von ihrem Team berichtet, dass sie ermutigt hätte, um in dieser Zeit trotz erheblicher Personalwechsel und einem großen Personalmangel jeden Tag weiterzumachen. Da habe sie einen guten Zusammenhalt gespürt und das habe sie sehr gestärkt. Auch wenn der Stress jetzt am Ende des Jahres einfach enorm groß und sie selbst nur noch platt sei, denke sie nun an gute Qualifizierungsmaßnahmen fürs Team. Sie wolle trotz all der digitalen Angebote im Netz lieber Präsenzveranstaltungen für ihre Kita haben. Eine Inhouse Veranstaltung, bei der alle in einem Boot sitzen, sei für sie mit einem Austausch auf Augenhöhe verbunden und das beste Mittel, um das Team in seiner Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Wechselwirkungen von Work-Life Balance im System Kita

Auch jetzt im Gespräch wird der Fokus trotz aller Widernisse auf die Kinder und ihr Wohlergehen gerichtet. „Gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit dürfen nicht die Kinder verändert werden,“ sagt die engagierte Führungskraft, „denn die haben es nun wirklich schon schwer genug.“ Wichtig sei ihr, dass jedes Kind auch so angenommen wird, wie es gerade im Moment ist, egal ob es dann ein verhaltensauffälliges oder besonderes Kind ist. Es sind Kinder, die auch alle durch eine schwere Krise gehen müssen! „Sie müssen in ihrem Verhalten so anerkannt werden, wie sie jetzt in diesem Moment sind“, sagt die Kitaleiterin mit Nachdruck.

In dieser herausfordernden Zeit habe sie auch an sich selbst sehr bewusst erlebt, zu welchen Wechselwirkungen es komme, wenn eine Pädagogin sich selbst nicht gut genug reflektiere. Daher glaube sie besonders daran, dass nur ein starkes Team, das an sich selbst gearbeitet hat, auch diese hohen Herausforderungen annehmen könne.

Nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen

Auf die Frage, wie sie sich jetzt im Moment fühle, sagt die KiTa-Leiterin, dass sie wieder ruhiger geworden sei, auch wenn es noch immer daran mangele eine Struktur für diese besonderen Herausforderungen zu entwickeln. Aber Coachingmaßnahmen sowie ein guter Fortbildungsetat für das kommende Jahr seien nun vonseiten des Trägers freigegeben worden. Trotz alledem wolle sie ihre Perspektive behalten und habe sich selbst ein Zeitlimit für eine Entscheidung gesetzt. Dies wolle sie auch einhalten, um im nächsten Frühjahr noch einmal neu auf ihre Leitungsfunktion zu schauen. Was ihr noch bewusster geworden sei, dazu antwortet sie selbstreflektiert: Auch in dieser Zeit der besonderen Herausforderungen werfe sie nicht so schnell die Flinte ins Korn und könne sich selber gut aushalten!

Die Kitaleiterin erscheint mir auch nach der langen Zeit besonderer Herausforderungen wie ein „Fels in der Brandung“ für die vielfältigsten organisatorischen und persönlichen Belange in dieser KiTa einzustehen. Dennoch kommt man nicht umhin auch den Fokus darauf zu richten, was eine Führungskraft tatsächlich braucht, um sich nicht nahezu ein Jahr so abzurackern und möglichst alle Löcher täglich neu zu stopfen.

Weitere Gespräche aus den letzten Wochen konnten auch mit anderen Kita Leiterinnen geführt werden. Die Leitungsteams berichteten davon, dass eine gewisse Abgeschnittenheit von Netzwerkpartnern ein Thema sei, dass ihnen zu schaffen mache. Gerne wollen sie wissen, ob andere Leitungen da bessere Strukturen und Abläufe entwickelt haben. Es sei ja auf nichts zurückzugreifen, man müsse das Rad ständig neu erfinden und das stresse enorm, sagt eine Leiterin. So einsam und still sei es selten in ihrem Leben gewesen, aber dennoch sei es extrem unruhig in der Kita, sagt sie bedeutungsvoll und hofft auf Antworten.

Psychische und körperliche Gesundheit

Das Thema der psychischen und körperlichen Gesundheit in Verbindung mit einer Balancierung von Beruf und Privatleben hat in jedem Gespräch mit einer Leitung /Leitungsteam einen großen Raum eingenommen. Auch das Statement, dass die Entwicklung einer guten Teamkultur besonders relevant in dieser Zeit sei, um sich auch gesund zu fühlen, ist öfters vernehmbar.
Ein Zitat aus einer Fortbildung bereits vor Jahren ist einer Leiterin noch erinnerlich, als sie sagt, dass sie nun sehr gut die Bedeutung verstehe, dass Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit sei.

Hier das Zitat der WHO: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. “

Die Fortbildungen mit Kitaleiterinnen kurz vor dem 2. Lockdown zeigen auch noch einmal deutlich, dass Führungswissen sicher nicht nur organisatorische Fähigkeiten freisetzen muss, sondern ein gutes Grundwissen sowie eine entsprechende Haltung zu Stress muss präventiv geprägt werden. Zu wenig wird den Führungskräften vermittelt, welche Auswirkungen Stress für sie selbst, aber auch für das Team haben kann, wenn Überforderungen über Jahre hingenommen oder körperliche Symptome von Müdigkeit, Erschöpfung, Magen-Darmproblemen, Schlafproblemen und/oder Kopfschmerzen nicht erkannt werden und darüber kommuniziert wird, weil der Kita-Alltag hierfür keine „Gesundheitsräume“ vorgesehen hat.

Verantwortung für was genau und wie soll das gehen in dieser Zeit?

In dieser Zeit muss es über Befindlichkeiten einen kontinuierlichen Austausch geben, darüber waren sich die Kita-Leitungen alle einig. Es müsse in den Teamsitzungen Möglichkeiten geben, um sich regelmäßig auszutauschen, nicht nur über Organisatorisches, ist auch die einhellige Meinung der meisten Erzieher*innen in den Fortbildungen!

Wenn der Austausch in Teamsitzungen bereits vor Corona schwierig gewesen sei, sagt eine Erzieherin, so sei es jetzt in dieser Zeit geradezu unmöglich.

Und doch ist es gerade im System Kita so, dass pädagogische Fachkräfte private Anliegen oder Probleme quasi draußen vor der Tür zum Arbeitsplatz abschütteln sollen. Länger als ein halbes Jahr und auch jetzt weiter haben Erzieher*innen und Kitaleitungen versucht ihre eigenen Gefühle, jede Stimmungslage und private Probleme mit sich selbst auszumachen und sich so zu regulieren, dass es für die tägliche Arbeit in der Kita aushaltbar gewesen ist. Ohne Zweifel haben diese Dinge aber auch einen Einfluss auf die Motivation, Leistungsfähigkeit und Konzentration der Beschäftigten. Auch das Thema Einsamkeit, keine persönlichen Gespräche unter Kolleg*innen über die eigene Befindlichkeit führen zu können, waren nochmals eigenständige Themen und wurden als Auswirkungen der Corona Zeit auf die Stimmung zwischen Leitung und Team genannt.

Das Kind im Mittelpunkt von beruflichen Aktivitäten

Es herrscht Unsicherheit, es fehlt an Know-how, dennoch ist die Loyalität zum Führungsteam, zur Kita mit den vielen Kindern und Eltern sehr groß und das macht sicher auch einen Teil des Leidensdrucks aus. Denn immer berichteten Erzieher*innen und Leiter*innen davon, dass sie ganz bewusst, teilweise schon vor Jahrzehnten genau diesen Beruf ausgewählt haben, weil für sie das Kind im Mittelpunkt ihrer beruflichen Aktivitäten steht. Längst aber hat diese besondere krisenreiche Zeit mit ständigem Auf und Abs, mit Lockdowns, die Organisatorisches und Abläufe stark in den Mittelpunkt stellt, Menschen in Ausführungsmodi versetzt.

Fazit

Dass Führungskräfte in dieser besonderen Zeit für ihre Führungs- und Managementkompetenz gestärkt werden müssen, steht außer Frage. Die Erfahrungen mit vielen Teams und Kitaleiter*innen in diesem Jahr zeigen, dass neben spezifischen Sachthemen der Arbeitswelt in einem besonderen Maße auch persönliche Themen der Leiter*innen in begleitende Coaching-Prozesse eingehen müssen. Dies steht vor dem Hintergrund, dass Führungskräfte nicht nur in ihrer fachlichen Kompetenz gefordert sind, sondern auch in ihrer gesamten Persönlichkeit. Genau an dieser Stelle greift wieder der Wunsch der Kitaleitungen, die sich eine Prozessbegleitung wünscht, die den Menschen ganzheitlich durchdringt und durch den ganzen Körper geht. Besser kann Work-Life-Balance aus Sicht der Leitung nicht beschrieben werden als von einer Expertin und Leiterin eines großen Teams einer integrativen Kita.


Marie-Anne Raithel

Heilpraktikerin für Psychotherapie, EMDR-Therapeutin (DGMT/ VDH), Coach/systemische Ausrichtung (DVNLP), Traumasensible Begleitung von Kindern in Institutionen, Autorin, Dozentin für das Luxemburger Bildungsministerium Ifen.lu

 

Marie-Anne Raithel

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