EI Agilität erfolgreiche Schulleitung
Recht & Verwaltung27 Juli, 2021

Agilität als Prinzip für erfolgreiche Schulleitung

Eva Maria Stolpmann | Stiftung Bildungspakt BayernStD, stellvertr. Geschäftsführerin, München
Die Corona-Pandemie hat Schulen in die schwierige Situation gebracht, widersprüchlichen Anforderungengerecht werden zu müssen. Die Erwartung an Schule als stabiles System steht der Notwendigkeit gegenüber,in der Krise ständig kurzfristig zu reagieren. Digitale Werkzeuge und agile Methoden eignen sich, Schulen inKrisenzeiten erfolgreich zu leiten.
Eva Maria Stolpmann

Hintergrund: Agilität im Schulversuch »Digitale Schule 2020«

Der vorliegende Beitrag beruht auf den Erfahrungen der Modellschulen aus dem Schulversuch »Digitale Schule 2020«, der von 2017 bis 2020 in Bayern durchgeführt worden ist und sich aktuell im Verlängerungsjahr befindet. Er hat den Auftrag zu erarbeiten, wie digitale Medien Lernen und Arbeiten in der gesamten Schule verbessern können. Im Kontext der systematischen Digitalisierung übernahmen die Projektschulen die agile Arbeitsweise, weil sie sich eignet, komplexe Aufgaben flexibel in eigenverantwortlichen Teams zu bearbeiten und zügig zu erfolgreichen Ergebnissen zu kommen. In der durch das Coronavirus ausgelösten Krise hat sich bestätigt, welches Potenzial Agilität als Prinzip für erfolgreiche Schulleitung besitzt. Insgesamt arbeiten 20 Schulen der Schularten Grundschule, Mittelschule, Realschule und Gymnasium an den Fragestellungen. Weitere Informationen finden Sie unter https://www.digitaleschule2020.de .

Agilität: Schnelle Anpassung an neue Anforderungen

Agilität ist im Kontext der Softwareentwicklung entstanden (siehe dazu Manifest der Agilen Softwareentwicklung 2001 https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html ) und hat im Zuge der Globalisierung einen Siegeszug in der Managementwelt angetreten. Der Begriff meint die Fähigkeit einer Organisation, flexibel und aktiv in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit zu handeln. Dabei ergreift die Organisation selbst die Initiative, auf veränderte Anforderungen zu reagieren. Die Basis der agilen Arbeitsweise bilden gemeinsame Werte, wie z.B. sich einem Ziel verpflichtet zu fühlen oder Offenheit, zeitnah und transparent über Arbeitsfortschritte zu sprechen. Sie werden durch Prinzipien des agilen Projektmanagements ergänzt, wie z.B.:
• Arbeit in selbstorganisierten und multifunktionalen Teams
• Produktentwicklung mit der Konzentration auf schnelle und sichtbare Erfolge
• Optimierung von Produkten im laufenden Betrieb durch kurzfristige Zyklen, mit            denen man sich schrittweise an die beste Lösung annähert (iteratives Vorgehen)
• Entwicklung von Lösungen aus Kundensicht
• regelmäßige Kommunikation auf Augenhöhe im Team bzw. mit dem Kunden

Es gibt eine Vielzahl von agilen Techniken, z.B.:
• Projektboard mit einer Übersicht aller Aufgaben und dem Stand der Bearbeitung          nach der Kanban Methode: Zerlegung eines Projekts in Teilpakete und                          Sichtbarmachen des Fortschritts durch die Verschiebung der Pakete von »to do«, in    »work in progress« bzw. in »done«
• regelmäßige »Stand-Up-Meetings« zur effizienten Besprechung des Status der              Bearbeitung von Aufgaben
• »Use Cases« zur Beschreibung der Anforderungen an eine Entscheidung aus                unterschiedlichen Perspektiven
• »osmotische Kommunikation«, d.h. gleicher Informationsstand für alle Mitwirkenden
• »Backlog« bzw. »Warteschleifendokument« zur Sammlung weiterer wichtiger Themen

Mitarbeiterführung, Kommunikation und Partizipation

Die Flexibilität der agilen Arbeitsweise scheint im Widerspruch zu Schule als stabiles System zu stehen. Inder Erfahrung der Projektschulen hat sich im Kontext der Digitalisierung als Querschnittsaufgabe jedoch gezeigt, dass sie sich eignet, schneller auf neue Entwicklungen zu reagieren und dabei die Betroffenen mitzunehmen.

Während vor der Krise die agile Arbeitsweise vor allem Mitarbeiterführung und Kommunikation veränderte, sind in der Krise die bereits etablierten Techniken mit den dazugehörigen digitalen Werkzeugen noch stärker für die Partizipation des Kollegiums, der Erziehungsberechtigten sowie der Schülerinnen und Schüler genutzt worden.

Prototypisch lässt sich das agile Arbeiten an den Modellschulen vor und in der Krisensituation in folgende Schritte zerlegen:
regelmäßiger, ggf. täglicher Jour Fixe des Schulleitungsteams als Stand-Up-Meeting:
• Information über aktuelle Entwicklungen und Anforderungen
• ggf. Entscheidung im Team über das weitere Vorgehen, z.B. Infoschreiben an Eltern oder Vorbereitung einer Maßnahme für den Wechsel- und Distanzunterricht

Dokumentation von Maßnahmen bzw. des Vorgehens als Projekt auf einem digitalen Projektboard mit der Kanban Methode zur Prozesssteuerung:
• Aufteilung in Arbeitspakete mit definiertem Anfangs- und Endpunkt, die iterativ in wiederkehrenden Schleifen verbessert werden
• fortlaufende Dokumentation des Bearbeitungsstandes; dadurch ist auch sichergestellt, dass z.B. alle Mitglieder im Schulleitungsteam auf dem gleichen und dem aktuellen Informationsstand sind
• Ermöglichung von schnellen, sichtbaren und einfach erreichbaren Erfolgen

Beachtung der Perspektive der Betroffenen durch frühzeitige Einbeziehung, z.B. des Elternbeirats, der SMV oder des Kollegiums; sie haben digital die Möglichkeit, geplante Maßnahmen zu diskutieren, kurzfristig Rückmeldung zu geben, ein Stimmungsbild abzugeben oder über eine Maßnahme abzustimmen; für die Vernetzung in der Schule ist der Einsatz entsprechender digitaler Werkzeuge zentral.

Evaluation und Reflexion des Vorgehens nach erfolgter Umsetzung:
• Feedback der Betroffenen, z.B. der Erziehungsberechtigten
• Diskussion im Kollegium (analog oder digital)
• Nutzung von »Fehlern« als Chance zur Verbesserung und zur Anpassung des Vorgehens• Dokumentation der optimierten und bewährten Lösung als Vorbereitung für ähnliche Krisen oder Nachfolgeprojekte

Mit der agilen Arbeitsweise gelingt es, Schülerinnen und Schüler bzw. Erziehungsberechtigte und das Kollegium in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und Akzeptanz für die Entscheidung zu vermitteln. Für die Lehrerinnen und Lehrer beschreibt Mike Graf, Schulleiter der Staatlichen Realschule Schöllnach das so: »Das Kollegium muss immer präsent haben, ein mit-entscheidender Faktor der Entwicklung zu sein.«

An einer anderen Modellschule, der Realschule am Europakanal, Erlangen II, hat die Arbeit mit dem digitalen Projektboard noch eine weitere Funktion. Dort verknüpft man das Board mit einem »Backlog«. In diesem Warteschleifendokument können Vorschläge für die Weiterentwicklung der Organisation abgelegt werden. Auf dem Projektboard tauchen die aufgegriffenen Themen dann als »projects in waiting« auf, und tragen dazu bei, dass sich die Schule im Prozess der digitalen Transformation stetig weiterentwickelt.
In der Corona-Pandemie zeigte sich dann allerdings auch, dass die »offenen Türen« der Schulleitung zusätzlich besonders wichtig waren, um niederschwellig und spontan persönlich Sorgen und Ideen zu teilen.

Weitere Informationen zu Agilität und Schule finden sich u.a. hier:
• Menno Huber (2019). Schule agil gestalten, entwickeln, führen.
• Peter Brichzin, Petra Kastl, Ralf Romeike (2019). Agile Schule: Methoden für den Projektunterricht in der Informatik und darüber hinaus.

Im Alltag Verbindlichkeiten schaffen und Grenzen kennen

Agiles Projektmanagement geht davon aus, dass alle Beteiligten sich in ihren Teams weitgehend selbst organisieren. Dieses Kernelement ist, so die Schulleitungen der Modellschulen, nur bedingt umsetzbar. Vielmehr geht es in der Krisensituation darum, die richtige Balance zwischen Freiwilligkeit und Verbindlichkeit zu schaffen, um Akzeptanz für verbindlich einzuhaltende Vorgaben zu schaffen und für eine gleichmäßige Verteilung von ggf. notwendigen Zusatzaufgaben zu sorgen.

Als Ausgangspunkt für verbindliche Vereinbarungen dienen den Modellschulen Daten aus der Evaluation ihres bisherigen Vorgehens. Regelmäßige Feedbackrunden zeigen den Schulleitungsteams z.B., wie zufrieden Eltern bzw. Schülerinnen und Schüler mit dem Informationsmanagement der Schule oder mit der Gestaltung des Distanzlernens sind.

Verbesserungsbedarfe, die durch die Umfragen sichtbar werden, werden identifiziert, die notwendigen Anpassungen als Projekte von Teams in der Schule vorgenommen und in einem iterativem Verfahren weiterentwickelt und umgesetzt.

In der Krisensituation ist nach Einschätzung der Schulleitungen der Modellschulen auch deutlich geworden, dass von ihnen erwartet wird, mit klaren Ansagen für Transparenz, Sicherheit und Orientierung zu sorgen. So ist es wichtig, die Auswirkungen politischer oder administrativer Entscheidungen auf die Situation an der eigenen Schule verständlich und vor allem zeitnah zu klären, u.a. auch um parallele Kommunikation in den Sozialen Medien mit einer eigenen Dynamik entgegenzuwirken.

Grenzen der Partizipation bzw. der Transparenz und Offenheit in der Schule zeigen sich auch, wenn Eltern daraus überzogene Erwartungen ableiten, wie ihre individuellen Ansprüche umgesetzt werden sollen. Kritisch zu betrachten ist auch, wenn Feedbackmöglichkeiten von Erziehungsberechtigten als Möglichkeit gesehen werden, sich zu Fragen der Unterrichtsgestaltung zu äußern. Solche problematischen Entwicklungen sind, so zeigt sich an den Projektschulen, die Ausnahme. Sie deuten aber auch daraufhin hin, dass die für die Agilität typische Kundenorientierung im schulischen Kontext anders zu verstehen ist.

Die Kurzfristigkeit von Entwicklungen in der Krise kann auch dazu führen, dass das Schulleitungsteam Entscheidungen treffen muss, die nicht mit anderen Betroffenen abgestimmt werden können.

Hilfreich für die agile Arbeitsweise in der Schule ist die digitale Vernetzung aller Beteiligten in der Schule.

Digitale Werkzeuge für Kommunikation und Kollaboration

Kommunikation und Kooperation sind Kernbestandteile der agilen Arbeitsweise. An den Schulen im Projektkommen dafür beispielsweise folgende digitalen Werkzeuge zum Einsatz:

Online-Portallösungen für die Kommunikation mit Erziehungsberechtigten bzw. mit Schülerinnen und Schülern, z.B. für
• Versand von Elternbriefen
• Verteilung von Lernmaterialien
• Rückmeldungen, z.B. Feedback zu bzw. Abstimmung von Maßnahmen, Anmeldung zur
  Notfallbetreuung

Online-Plattformen für die Kommunikation und Kollaboration, z.B. für
• Videochats/Videokonferenzen für Abstimmungsprozesse
  digitale Projektboards oder digitale Pinnwände, v. a. zur
• Dokumentation/Visualisierung von Projekten
• Darstellung der Prozessbearbeitung

ggf. zusätzlicher Videomessengerdienst für die zeitnahe, asynchrone Kommunikation

Als Schulleitung Unterstützer sein und Neues wagen

Wie verändert sich die Rolle der Schulleitung im Kontext des agilen Arbeitens? Philipp Arnold, Schulleiter der Mittelschule Ebern, beschreibt seine Arbeit so:

»Schulleiter sind nun nicht mehr nur Vorgesetzte, sondern vor allem Organisatoren, Anbieter, Vordenker und Rechtssicherheitsprüfer, also im besten Sinne Dienstleister fürs Kollegium. Die Schulleitung muss sich über digitale Tools informieren, für die Beschaffung der End-Geräte in Absprache mit dem Kollegium und für den Support sorgen. Letztlich organisiert die Schulleitung auch die schulinternen Fortbildungsstrukturen. Zur Dienstleistung gehört mehr Beratung und weniger Anordnung, mehr Erfragen als Diktieren, mehr Angebot als Forderung und vor allem Unterstützung und weniger Kontrolle.«

Unterstützung kann in der Krisensituation dabei vielfältige Formen annehmen. So ist z.B. an der Grundschule Offenstetten eine Planungs- und Strukturierungshilfe für Online-Unterricht entstanden, um der Herausforderung gemeinsam zu begegnen, wie Distanzunterricht an der Grundschule qualitativ gut umgesetzt werden kann. Den Kolleginnen und Kollegen steht damit eine Zusammenstellung von Methoden für die unterschiedlichen Phasen des Online-Unterrichts zur Verfügung. Sie stammen entweder aus dem Präsenzunterricht und können gut im Distanzunterricht eingesetzt werden oder sie sind neu für die Distanzentdeckt worden. Komplementiert wird die Planungs- und Strukturierungshilfe durch die Hinweise auf die verfügbaren digitalen Werkzeuge.

Ein anderes Beispiel findet sich an der Realschule am Europakanal, Erlangen II, wo die Schulleitung beobachtet, dass ihre Kommunikationsstrategie zeitnaher und niedrigschwelliger sein sollte. Als Reaktion hat sich der Schulleiter für die Anschaffung einer Videomessengerdienst-App entschieden, die allen Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz entspricht.

Markus Bölling, Schulleiter an der Realschule am Europakanal, Erlangen II, hebt hervor, dass die App eine sehr hohe Akzeptanz im Kollegium genieße und der Informationsfluss im Vergleich zu E-Mails wesentlich besser sei. Bei den Schülerinnen und Schülern kann er beobachten, dass sie mehr Kontakt zur Schule suchten, da die Hemmschwelle wohl geringer sei. Das treffe vor allem auch auf Kinder und Jugendliche mit Problemen zu. Weiterer großer Vorteil sei, dass das Schulleitungsteam sehr schnell Rückmeldungen einholen könne, Fragen sehr schnell beantwortet werden und das Kollegium Themen niedrigschwellig digitaldiskutieren könnten.

Der Einsatz der App ist so organisiert, dass
• es einen Info-Kanal der Schulleitung gibt, in dem nur die Schulleitung schreiben kann,
• es zu allen wichtigen Themen Chat-Räume gibt, z.B. Schulleitung – Seminarlehrer – Referendare –Lehrer – Klassen gesamt Chat z.B. 7a
• es einen Chatraum für Referendare gibt, so dass man als Seminarschule mit ihnen kontinuierlich Kontakt halten kann.

Diese zwei Beispiele zeigen, dass die agile Arbeitsweise Schulleitungen einerseits zeigt, wo es Veränderungs- und Entwicklungsbedarfe gibt, sie es andererseits bereit sein müssen, auch Neues zu wagen. In Krisenzeiten ist das natürlich besonders wichtig.

Damit das möglich ist, arbeiten die Schulen im Projekt »Digitale Schule 2020« nicht nur in der Schulleitung im Team, sondern auch mit sogenannten »Digi-Teams«. Es sind interdisziplinäre Teams, die unterschiedliche Expertise und verschiedene Perspektiven innerhalb der Schule für deren Weiterentwicklung einbringen können. Gleichzeitig verstehen sie sich als professionelle Lerngemeinschaften, die gemeinsam daran arbeiten, mit der Dynamik der digitalen Transformation der Lebens- und Arbeitswelt Schritt zu halten. In der Schule helfen dabei, Unterstützungsbedarfe im Kollegium zu identifizieren und Anregungen für Neues einzubringen.

Fazit: Agilität als Prinzip, nicht nur in der Krise

Als Prinzip bietet Agilität die Chance, dass Schulen sich konstant für zukünftige Anforderungen weiterentwickeln können und Lehrkräfte bereit sind, sich auch als »Veränderungsagenten« zu verstehen. In Krisensituationen wie der Corona-Pandemie ist Agilität eine Notwendigkeit, um trotz der Komplexität der Situation und der Kurzfristigkeit der Entscheidungen den Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule zu erfüllen.

Autor Eva-Stolpmann

Stiftung Bildungspakt BayernStD, stellvertr. Geschäftsführerin, München

 

Eva Maria Stolpmann

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