Die »Digital Acts« – Verschärfte Spielregeln für die digitale Welt
Recht & Verwaltung17 Juni, 2021

Digitale Wirtschaft - Was ist das eigentlich?

Die neue Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft trägt es in ihrem Titel, doch was ist das eigentlich, diese „digitale Wirtschaft“? Dieser Beitrag bildet den Auftakt einer mehrteiligen Reihe, die sich dem Begriff nähert und Denkanstöße für Entscheider:innen liefert, die eigenen Geschäftsprozesse zu hinterfragen. Insbesondere wird aufgezeigt, wie analog und papierbasiert wichtige Prozesse noch immer ablaufen, obwohl dies aus der Perspektive des Rechts womöglich überhaupt nicht erforderlich wäre. Zudem werden aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Digitalisierung im Handel vorgestellt.

1. Digitales Privatleben – Analoges Berufsleben

Im Privaten könnte einen das Gefühl beschleichen, die Digitalisierung sei schon fast zum Abschluss gekommen. Kommunikation findet ohnehin nur noch digital über E-Mail, Videokonferenzen oder Messenger-Apps statt. Der eCommerce ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Selbst der Aktienhandel wird mühelos über Apps auf dem privaten Smartphone abgewickelt. Quasi auf Zuruf können unsere sprachgesteuerten Assistenten Vermögenswerte transferieren.

Im Berufsleben sieht die Lage jedoch ganz anders aus und das obwohl der Gesetzeber gerade öffentlichkeitswirksam die Einführung elektronischer Wertpapiere durch das neue eWPG verkündet hat. Gerade im Handel ist von Digitalisierung nur wenig zu spüren und Papier noch immer der Informationsträger Nr. 1.

Zur Veranschaulichung beginnen wir mit einem Sachverhalt, die den meisten Leser:innen wohl aus dem Privatleben bekannt sein dürfte. Bestellt man Ware im Internet über die einschlägigen Plattformen und wird diese dann endlich zuhause zugestellt, fällt gelegentlich ein rot eingeschweißter Zettel auf, der am Paket klebt. Dabei handelt es sich zumeist um einen Lieferschein, der die Ware begleitet und wesentliche Angaben über die Ware im Paket enthält. Dieser Lieferschein wird noch immer auf Papier ausgestellt, weil den Verwender:innen bisher nicht so recht klar war, welche Rechtsqualität dieses Dokument überhaupt besitzt. Dass die Digitalisierung dieses Warenbegleitpapiers schon längst möglich ist, können sie in Heft 4 der ZdiW ab S. 128 nachlesen.

2. Papier als Informationsträger Nr. 1 im internationalen Handel

Hält man sich die Menge an Paketen vor Augen, die tagtäglich verschickt werden, erhält man eine gewisse Vorstellung der Menge an Papier, die hierfür verbraucht wird. Noch eklatanter wird dieser Zustand, betrachtet man das internationale Handelsgeschäft. Gerade für die Bundesrepublik ist der Außenhandel von extremer Relevanz, gilt Deutschland doch noch immer als „Exportweltmeister.“ Vereinfacht stellt sich der internationale Warenaustausch wie folgt dar: Die Ware wird im oftmals süddeutschen Raum produziert und dann zu den im Norden der Republik liegenden Überseehäfen per LKW oder Schiene transportiert. Von dort aus tritt die Ware dann die große Reise mit dem Schiff an, um in den Häfen von Asien oder Amerika in Empfang genommen zu werden. Damit ist es jedoch nicht getan. Zeitgleich werden eine Vielzahl von Dokumenten, in mehrfacher Ausführung und teilweise sogar in verschiedenen Farben ausgestellt, die Aufschluss über die Ware, den Transportweg, die beteiligten Personen und Unternehmen sowie die Zoll- und Ausfuhrabwicklung geben. Jedes Dokument erfüllt dabei seinen eigenen Zweck und das, obwohl die enthaltenen Informationen weitestgehend identisch sind. Parallel zur Ware treten diese Dokumente die große Reise an – jetzt allerdings nicht mehr per Schiff, sondern per Luftfracht. Die Dokumente müssen schließlich vor der Ware im Empfangshafen landen, da der Empfänger ansonsten die Ablieferung der Ware nicht verlangen kann. Jedes Schiff wird somit von einem Flugzeug begleitet. Nachhaltig ist das sicher nicht.

Wer sich jetzt an Asterix und den berühmten „Passierschein A38“ erinnert fühlt, hat Recht. Zur Ehrenrettung der Behörden muss man hier jedoch darauf hinweisen, dass die meisten Dokumente nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen ausgestellt werden. Vielmehr sind es die großen Entfernungen zwischen den Parteien, die eine lückenlose Dokumentation erfordern und die Einbeziehung von Banken, die für das Zustandekommen des Exports garantieren und Sicherheiten für die Stellung des sog. Akkreditivs, dem Finanzierungsinstrument des Handels, benötigen.

3. Das Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere

An dieser Stelle könnte sich jetzt der Kreis zum eWPG schließen. Immerhin soll das eWPG nach Vorstellung des Gesetzgebers das deutsche Recht erstmals für elektronische Wertpapiere öffnen. Dem ist allerdings nicht so. In Wahrheit kennt das deutsche Recht schon seit 2013 (!) elektronische Wertpapiere und zwar die sog. Traditionspapiere des Transports. Dabei handelt es sich um Ladeschein, Lagerschein und Konnossement. Alle drei Dokumente repräsentieren vereinfacht gesprochen die Ware. Ihre Übertragung hat deshalb dieselbe Wirkung wie die Übereignung der Ware. Im Rahmen des Akkreditivs werden daher insbesondere Konnossemente eingesetzt, um der finanzierenden Bank eine Sicherungsmöglichkeit einzuräumen. So kann die Bank im Fall der Fälle selbst an die Stelle des Empfängers treten und die Ware in Empfang nehmen bzw. weiterveräußern, um Außenstände zu befriedigen. Mit der Reform des Seehandelsrechts wurden neue Normen in das HGB eingefügt, die anstelle von Papier nunmehr auch elektronische Aufzeichnung dieser Traditionspapiere zulassen (für das Konnossement z.B. § 516 Abs. 2 HGB).

Doch auch die weiteren Dokumente des Transports, die keinen Wertpapiercharakter haben (Frachtbrief und Seefrachtbrief) können seitdem elektronisch ausgestellt werden. Das gilt nicht nur im nationalen Recht. Überdies hat sich die Bundesrepublik nun nach fast 13 Jahren auch dazu entschlossen, das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) betreffend den elektronischen Frachtbrief zu ratifizieren und damit auch im grenzüberschreitenden Landtransport die elektronische Dokumentation zu ermöglichen.

Das stimmt alles sehr zuversichtlich, was die Digitalisierung im Handel anbelangt. Dennoch kann keineswegs die Rede davon sein, dass Papier keine Rolle mehr spielen würde. Dafür sind diese Prozesse zu sehr das Ergebnis jahrhundertealter Gepflogenheiten und Erfahrungen. Zudem fehlte es Anbieter:innen technischer Lösungen bisher am nötigen Vertrauen. Schließlich müssen die beteiligten Unternehmen zum Teil das Herzstück ihrer Geschäftsprozesse an einen IT-Dienstleister auslagern. Dezentrale Ansätze, die ein hohes Maß an Datensouveränität gewährleisten, könnten hier einen gangbaren Weg bieten.

4. Hoffnung aus Europa?

Zudem tut sich auch auf europäischer Ebene einiges. So gilt ab 2024 die VO (EU) 2020/1056 über elektronische Frachtbeförderungsinformationen. Diese wird das gesamte Zusammenspiel zwischen Behörden nachhaltig verändern, schafft sie doch erstmals einen vollständigen Rechtsrahmen für die elektronische Übermittlung gesetzlich vorgeschriebener Informationen zwischen den betroffenen Unternehmen und den zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der Beförderung von Gütern im Gebiet der Union. Über sog. eFTI-Plattformen soll künftig der gesamte Informationsaustausch volldigital abgewickelt werden. Damit ist zugleich die Eingangsfrage beantwortet. Eine digitale Wirtschaft verzichtet auf Papier als Informationsträger. Der Informationsaustausch findet vollständig elektronisch statt. Das bedeutet jedoch nicht, dass PDF-Dokumente per E-Mail verschickt werden. Das ist keine Digitalisierung, allenfalls Elektrifizierung! Damit eine digitale Wirtschaft gelingen kann, müssen sowohl Absender als auch Empfänger gemeinsam an Kommunikationsstandards arbeiten. Das ist ob der Vielzahl von teilweise auch divergierenden Interessen eine Mammutaufgabe. Die Effizienzgewinne werden jedoch enorm sein. Kooperation ist die höchste Form des Egoismus!


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Dieser Beitrag von Dr. David Saive* ist der Start einer mehrteiligen Reihe.

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*Der Autor dieses Beitrags, Dr. David Saive, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für das Recht der Informationsgesellschaft an der Universität Oldenburg. 
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