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Recht & Verwaltung08 Juli, 2021

Das EU-UK Handels- und Kooperationsabkommen und der digitale Handel

Rechtsanwalt Dr. Nils Rauer, MJI, Frankfurt am Main*

Es war sprichwörtlich »fünf vor zwölf« als die Europäische Union und Großbritannien sich am 24.12.2020 auf ein Handels- und Kooperationsabkommen einigten.Bis zuletzt hatten beide Seiten miteinander um Kompromisse gerungen. Dabei waren manche Themen – wie etwa die Verteilung der Fischereirechte – erkennbar emotional aufgeladen. Nun ist
es kein Geheimnis, dass es bei Vertragsverhandlungen häufig nicht die wirtschaftlich bedeutsamsten Punkte sind, bei denen es am Ende »knackt«. 

Der zuletzt doch erhebliche Druck auf die Verhandlungsführer begründet sich aus dem knapp ein Jahr zuvor, am 11.12.2019, geschlossenen Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft.Die darin vereinbarte Übergangsfrist sollte zum 31.12.2020 enden. Eine Verlängerung dieser Frist war insbesondere seitens der britischen Regierung nicht gewünscht. Letzten Endes konnten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Premier Boris Johnson dann kurz vor dem Jahreswechsel der breiten Öffentlichkeit verkünden, dass nach zähem Ringen ein »Deal« gefunden worden war.

Interessanterweise fand ein Unterkapitel, namentlich das zum digitalen Handel, eher geräuschlos Eingang in den Vertragstext. Dies ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil es das erste seiner Art ist, welches in einem Handelsabkommen der Europäischen Union mit einem Drittstaat verankert worden ist. Nun mag man dies als Ausdruck der stetig steigenden Bedeutung des elektronischen Handels für die Gesamtwirtschaft werten. Was die Vereinbarung eines eigenen Abschnitts zum digitalen Handel in der Praxis zu bewirken vermag, bemisst sich jedoch allein daran, auf was sich die Verhandlungspartner inhaltlich verständigen konnten. Es lohnt also ein etwas genauerer Blick auf die Dinge.

Die Kommission spricht jedenfalls in Hinsicht auf das Abkommen von »einer soliden Grundlage für die Wahrung unserer langjährigen Freundschaft und Zusammenarbeit«.Sie tut dies allerdings nicht ohne den Hinweis, dass die künftigen Beziehungen keineswegs das Maß der wirtschaftlichen Verflechtung erreichen könnten, welches zu Zeiten der Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union bestand. Damit spricht die Kommission den politisch wohl unumgänglichen, ökonomisch aber unweigerlich schmerzlichen Unterschied an, den es macht, ob man Teil des europäischen Binnenmarktes ist oder nicht. Dies werden beide Seiten schnell merken.

I. Der Binnenmarkt

Wer verstehen will, was sich mit dem Brexit an Veränderung ergeben hat und noch ergeben wird, muss sich zunächst dem Binnenmarktgedanken zuwenden. Dieser kam dem interessierten Betrachter in den letzten Jahren zumeist in dem Gewand des sogenannten »Digitalen Binnenmarktes« entgegen. Dies war und ist dem Umstand geschuldet, dass die vormalige Juncker-Kommission im Mai 2015 ein Strategiepapier vorlegte, welches mit »Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa« überschrieben war.Der Binnenmarkt als gemeinschaftlicher Wirtschaftsraum ist aber bereits weitaus länger das ökonomische Kernziel der Europäischen Union.

1. Ursprünge und heutige Verankerung

Der Begriff des Binnenmarktes findet sich seit 1987 in den Verträgen, auf denen heute die Europäische Union beruht. Eingeführt wurde er mit der Einheitlichen Europäische Akte vom 01.07.1987.Allerdings wurde der bis dato verwendete Begriff des »Gemeinsamen Marktes« nicht vollständig ersetzt, was zunächst zu einer Diskussion führte, ob beide Begriffe inhaltsgleich zu verstehen seien oder der ab Ende der 1980er Jahre angestrebte Binnenmarkt einen höheren Grad an Integration aufweise.Letztlich wird man aus heutiger Sicht sagen müssen, dass die Begriffe synonym zu verstehen sind.7

Heute findet sich das Binnenmarktziel in Art. 3 Abs. 3 EUV und Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert. Demnach umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Der EuGH hat für diese Definition bereits 1982 in der sogenannten Schul-Entscheidungdie Grundlagen gelegt. In dem damaligen Urteil heißt es, dass der Gemeinsame Markt als Wirtschaftsraum zu verstehen sei, der »auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt [abzielt], dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahe kommen.« Diese Formulierung, die nunmehr nahezu vierzig Jahre alt ist, zeugte schon damals von großem Weitblick und hat an Aktualität keineswegs verloren. Bereits der Ansatz als solcher ist bemerkenswert. Denn der Begriff des Marktes war seit jeher durch ein einzelstaatliches Verständnis geprägt. Sobald es zu Bündnissen von souveränen Staaten kam, wurde über Freihandelszonen oder Zollunionen gesprochen und wurden bilateral oder multilateral entsprechende Abkommen geschlossen. Derartige Wirtschaftsräume stellen aber gerade keinen Markt im Sinne der Volkswirtschaftslehre da. Sie sind Vorstufen, weisen aber nicht die zwingenden Strukturelemente auf, welche einen Markt und dessen Mechanismen auszeichnen. Der europäische Binnenmarkt ist mithin mehr als eine bloße Freihandelszone oder Zollunion.9

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 *Der Autor ist Partner der Sozietät Pinsent Masons und leitet das deutsche IP Team. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Bereich der Digitalisierung.

1 Terhechte NJW 2021, 417, spricht insofern nicht ganz zu Unrecht von einem »Last-Minute-Weihnachtsgeschenk«.

2 2019/C 384 I/01; https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.CI.2019.384.01.0001.01.DEU [11.05.2021].

3 https://ec.europa.eu/info/relations-united-kingdom/eu-uk-trade-andcooperation-agreement_de#freetradeagreement [11.05.2021].

4 KOM(2015)192; https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52015DC0192 [11.05.2021].

5 https: / / eur- lex. europa. eu/ legal- content/ DE/ TXT/ ? uri=LEGISSUM%3Axy0027 [11.05.2021].

6 Vgl. Börner DB 1989, 613, 613; Dauses EuZW 1990, 8, 10; Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, S. 109; Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 148; Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG,1970, S. 91.

7 Eingehender hierzu Rauer (s. Fn. 6), S. 149 ff.

8 EuGH 05.05.1982, C-15/81 – Schul.

9 Blank/Clausen/Wacker, Internationale Ökonomische Integration, 1998, S. 124.

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