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Recht & Verwaltung08 Februar, 2024

Interview zum Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG): was gilt es zu beachten

Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht
In diesem Interview setzt sich Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch mit dem Lieferkettensorgfaltsgesetz und den ab dem 01.01.2024 geltenden Neuerungen auseinander.

An wen richtet sich das LkSG und welche Probleme will das Gesetz bewältigen?

Ziel des Gesetzes ist es, Menschenrechte und Umweltbelange in der globalen Wirtschaft besser zu schützen. Die Bundesregierung sieht die BRD aufgrund der hohen internationalen Verflechtungen ihrer volkswirtschaftlich bedeutenden Branchen hier in einer besonderen Verantwortung. Im Zuge der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) aus dem Jahr 2016 ist jedoch klar geworden, dass zu wenige Unternehmen (nämlich 13-17% der befragten) diese Belange aus eigener, freiwilliger Initiative aufgreifen. Daher statuiert das LkSG nun für einen bestimmten Kreis von Unternehmen entsprechende Pflichten: Das LkSG richtet sich an große deutsche Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von 3000 (ab 1. Januar 2023) bzw. 1000 Personen (ab 1. Januar 2024) im Jahresdurchschnitt. Der abgestufte Geltungsbereich führt hier zu deutlichen Unterschieden. Nach den Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind auf der ersten Stufe, dh ab dem 1.1.2023, ca. 900 Unternehmen in Deutschland betroffen. Auf der zweiten Stufe erhöht sich diese Zahl auf rund 4.800 Unternehmen. Nach 2024 soll der Anwendungsbereich des LkSG überprüft und evaluiert werden.

Ab dem 01.01.2024 sind auch Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten betroffen; zuvor lag der Schwellenwert bei 3000. Warum hat der Gesetzgeber ein Wirksamwerden in zwei Stufen vorgesehen?

Die gestufte Anwendung erleichtert den Unternehmen die oft mit erheblichem Aufwand verbundene Anpassung an die gesetzlichen Vorgaben, indem es kleineren Unternehmen eine „Schonfrist“ einräumt. Umgekehrt entsteht für Unternehmen, die sich frühzeitig auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten vorbereiten, uU ein Wettbewerbsvorteil. Dieses gesetzgeberische Vorgehen ist keine Besonderheit nur des LkSG, sondern findet sich in verschiedenen Regelwerken auch der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung. So sieht etwa die Europäische Corporate Sustainability Due Diligence Directive (kurz CSDDD), die oftmals als „Europäisches Lieferkettengesetz“ bezeichnet wird, ebenfalls einen zeitlich gestaffelten Anwendungsbereich vor, der sich – wie das LkSG – an Beschäftigtenzahlen, zusätzlich aber auch an Umsatzgrößen sowie der Zugehörigkeit von Unternehmen zu besonderen Risikosektoren (zB Textilbranche) orientiert. Neben den erst auf einer späteren Stufe betroffenen Unternehmen entlastet der gestaffelte Anwendungsbereich mittelbar auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Einhaltung der Vorgaben durch die Normadressaten überwacht und kontrolliert.

Wie konkret, wie handhabbar sind die Vorgaben des Gesetzes? Welche Rolle spielen heute die in § 20 des Gesetzes versprochenen Handreichungen?

Vielerorts wird kritisiert, dass den Vorgaben des LkSG zum Teil die Präzision fehlt, sodass Unternehmen sie nicht ohne Weiteres umsetzen können. Dies trifft insbesondere schon auf die zentrale unternehmerische Sorgfaltspflicht des § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG zu. Danach haben Unternehmen in ihren Lieferketten die im LkSG festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Sie schulden hier also keinen bestimmten Erfolg in dem Sinne, dass eine Verletzung von Sorgfaltspflichten stets zu vermeiden ist. Stattdessen handelt es sich um bloße „Bemühenspflichten“, es kommt dabei auf das Kriterium der Angemessenheit an. Was darunter genau zu verstehen ist, bleibt jedoch nach der Gesetzeslektüre unklar. Das Konzept der Bemühenspflichten ist im deutschen Recht ein Novum und wird erst in den kommenden Jahren durch Rechtsprechung und Wissenschaft weiter ausbuchstabiert werden. Hier bieten derzeit die Handreichungen des BAFA als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften eine Auslegungshilfe. Solche Handreichungen existieren nicht nur mit Blick auf das Prinzip der Angemessenheit, sondern auch zur Umsetzung von Risikoanalysen, dem Beschwerdeverfahren, der Zusammenarbeit in der Lieferkette sowie zur Anwendung des LkSG auf die Kredit- und Versicherungswirtschaft. Die Handreichungen des BAFA spielen daher eine wichtige Rolle für die Implementierung der Vorgaben des LkSG im Unternehmen. Ähnliches gilt auch mit Blick auf die Berichtspflichten nach § 10 Abs. 2 LkSG, zu deren Erfüllung das BAFA einen Online-Fragebogen zur Verfügung gestellt hat.

Was versteht man unter dem Begriff „Grundsatzerklärung“, von der in dem Gesetz die Rede ist? Kann eine "Erklärung“ eine Präventionsmaßnahme sein?

Nach § 6 Abs. 2 LkSG muss jedes vom Gesetz betroffene Unternehmen eine Grundsatzerklärung über seine Menschenrechtsstrategie verabschieden, die sich im Wesentlichen an den Vorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientiert. Zuständig hierfür ist die Unternehmensleitung, die dabei mindestens die in den § 6 Abs. 2 Nr. 1-3 LkSG genannten Punkte adressieren muss: (1.) Die Beschreibung des Verfahrens, mit dem das Unternehmen seinen Pflichten nach § 4 Absatz 1, § 5 Absatz 1, § 6 Absatz 3 bis 5, sowie den §§ 7 bis 10 LkSG nachkommt, (2.) die für das Unternehmen auf Grundlage der Risikoanalyse festgestellten prioritären menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und (3.) die auf Grundlage der Risikoanalyse erfolgte Festlegung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen, die das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer in der Lieferkette richtet. Diese Erklärung bzw. die Strategie bringt die Selbstverpflichtung und das Engagement des Unternehmens zur Achtung der Menschenrechte und der umweltbezogenen Pflichten zum Ausdruck und kommuniziert diese gegenüber Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Betroffenen entlang der Lieferkette. Insoweit ist sie grundlegend für die Pflichtenerfüllung und wirkt durchaus präventiv, nämlich aus Ausgangspunkt der internen und externen Durchsetzung der Sorgfaltspflichten. Diesen Präventionscharakter hat auch der Gesetzgeber durch eine Änderung der Überschrift des § 6 kurz vor Konsolidierung des Regierungsentwurfs zum Ausdruck gebracht.

Wie beurteilen Sie die Effektivität des Lieferkettensorgfaltsgesetzes und seines Sanktionensystems?

Ein Gesetz ist nur so effektiv wie seine Durchsetzungsmechanismen. Daher war das Enforcement-System und insbesondere die Sanktionen für Sorgfaltspflichtverstöße zentraler Aspekt bereits des Gesetzgebungsverfahrens in Deutschland. Auch auf europäischer Ebene bestimmte die Frage der Durchsetzung das Trilogverfahren auf dem Weg zur finalen Corporate Sustanability Due Diligence Directive (CSDDD). Die deutsche und europäische Lieferkettenregulierung unterscheiden sich hier in einem grundlegenden Punkt: Während das LkSG einen zivilrechtlichen Schadensersatzanpruch potenzieller Opfer in § 3 Abs. 3 ausdrücklich ausschließt und damit auf ein reines Public Enforcement setzt, sieht die CSDDD in Art. 22 einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch vor.

Mangels zivilrechtlicher Ansprüche sind die Durchsetzungsmechanismen des LkSG primär behördlicher Natur. Zuständig ist gem. § 19 I LkSG das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Dieses kann im Fall der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung insbesondere der Sorgfaltspflichten Zwangs- und Bußgelder verhängen. Unternehmen haben bei einer vorsätzlichen Verletzung bis zu acht Millionen Euro zu zahlen. Beträgt der Jahresumsatz mehr als 400 Millionen Euro, kann eine Geldbuße von bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes festgesetzt werden. Diese umsatzbezogene Geldbuße ist auf europäischer Ebene bereits mehrfach erprobt worden. Schließlich kommt gem. § 22 LkSG ein Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren in Betracht. Insbesondere die umsatzbezogene Geldbuße, aber der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sind aus Unternehmensperspektive durchaus empfindliche und damit effektive Sanktionen. Um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu überprüfen, hat das BAFA gegenüber den betroffenen Unternehmen zudem zahlreiche Informations- und Auskunftsrechte, diese werden weiter flankiert durch ein Betretensrecht zugunsten der Behörde.

Gibt es Kennzahlen oder Parameter, an denen sich der Erfolg des Gesetzes ablesen lässt?

Das LkSG selbst sieht keine Kennzahlen oder Parameter vor, anhand derer sich sein Erfolg bzw. die erfolgreiche Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch betroffene Unternehmen unmittelbar ablesen ließe. Dennoch erlangen diese Bedeutung insbesondere im Rahmen der Offenlegungspflichten gem. § 10 Abs. 2 LkSG. Danach haben betroffene Unternehmen jährlich einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf ihrer Internetseite für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. Diese Informationen sind für Marktteilnehmer von erheblicher Bedeutung. Um hier Vergleichbarkeit der einzelnen Berichte zu gewährleisten und insbesondere das unternehmerische Engagement sowie die damit verbundenen Risiken schnell und sicher messen und beurteilen zu können, ist die Verwendung von möglichst weit verbreiteten Standards und Kennzahlen unerlässlich. Ihr Fehlen wurde bereits mit Blick auf die Richtlinie für nichtfinanzielle Berichterstattung bemängelt. Zahlreiche private Anbieter haben hierfür inzwischen digitale Lösungen entwickelt, anhand derer sich die Erfolge sowie Risiken von Unternehmen u.a. durch Verwendung von KI kategorisieren und Marktteilnehmern zur Verfügung stellen lassen. In der Praxis kommen hier durchaus verschiedene Key Performance Indicators (KPIs) zum Einsatz. Eine stärkere Vereinheitlichung und Standardisierung bewirkt demnächst die Umsetzung der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD). Diese verschmilzt den Bericht nach LkSG mit dem nichtfinanziellen Bericht bzw. Nachhaltigkeitsbericht auf Grundlage des Bilanzrechts und sieht hier in Zukunft auch die Möglichkeit einer inhaltlichen Prüfung vor. In diesem Rahmen werden zukünftig entsprechende Kennzahlen und Parameter immer wichtiger.

Sehen Sie Nachsteuerungsbedarf?

Über ein Nachjustieren könnte man an zahlreichen Punkten des LkSG nachdenken, der Nachsteuerungsbedarf besteht unabhängig davon bereits von Gesetzes wegen: Gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV hat der deutsche Gesetzgeber mit der Europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) demnächst die europäische Lieferkettenregulierung umzusetzen. Zwar ist diese Richtlinie aktuell noch nicht in Kraft getreten, im Trilogverfahren haben Rat und Parlament aber am 14.12. eine vorläufige Einigung erzielt. Das geplante Regelwerk folgt im Grundsatz der deutschen Methodik, allerdings intensiviert es die Pflichten des LkSG sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Neben Änderungen des Anwendungsbereichs – in Zukunft werden deutlich mehr Unternehmen die Sorgfaltspflichten zu beachten haben – sieht sie zentral eine zivilrechtliche Haftung für die Opfer von Sorgfaltspflichtverstößen in der Lieferkette vor. Diese tritt neben das – in der EU wie in Deutschland – vorgesehene Public Enforcement durch nationale Behörden. Die konkrete der Gestalt des Haftungstatbestands in Art. 22 CSDDD bleibt abzuwarten. Von besonderem Interesse ist hier freilich die Gestaltung der Beweislast, daneben die Frage der Anwendbarkeit der Haftungsnorm im Drittstaatenkontext; hier ist eine nationale Ausgestaltung als Eingriffsnorm im internationalprivatrechtlichen Sinne geplant. Von besonderer Bedeutung ist daneben die Frage nach der Reichweite der Lieferkette, die die EU-Richtlinie deutlich weiter fasst als das LkSG – hier ist auch der gesamte Downstream-Bereich umfasst. Auch mit Blick auf den Finanzdienstleistungssektor sind Änderungen im Anwendungsbereich geplant. Eine Aktualisierung des LkSG durch den deutschen Umsetzungsgesetzgeber ist damit absehbar.
Online-Seminar
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Das Online-Seminar mit mit Prof. Dr. Anne Mittwoch, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, findet am 27. Februar 2024 statt.
Bildnachweis: makibestphoto /stock.adobe.com
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