Bauvertrag Kündigung
Recht & Verwaltung23 März, 2023

Ist das Kündigungsrecht des Auftraggebers nach § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wirksam?

Gemäß § 8 Nr. 3 S. 1 VOB/B (2002) kann der AG den Vertrag kündigen, wenn im Fall des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die gesetzte Frist zur Mängelbeseitigung fruchtlos abgelaufen ist. Ein aktuelles BGH-Urteil (vom 19.01.2023 – VII ZR 34/20) beantwortet die Frage, ob diese Regelung den AN unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB benachteiligt und daher unwirksam ist.

RA Claus Rückert

Nach § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) hat der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen. Kommt der Auftragnehmer dieser Pflicht nicht nach, so kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen werde. Die Kündigung kann gemäß § 8 Nr. 3 S. 2 VOB/B (2002) auf einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung beschränkt werden.

Bei den Regelungen der VOB/B handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Sofern die VOB/B ohne Abweichungen („als Ganzes“) Vertragsbestandteil wird, ist sie – sofern an dem Vertrag kein Verbraucher beteiligt ist – einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB entzogen (§ 310 Abs. 1 Satz 3 BGB).

Dagegen führen selbst geringfügige Abweichungen von der VOB/B dazu, dass die VOB/B nicht mehr „als Ganzes“ vereinbart ist und einer Inhaltskontrolle unterliegt. In diesem Fall kann sich nur der Vertragspartner des Verwenders auf eine etwaige Unwirksamkeit einzelner Klauseln berufen. Das Urteil des BGH ist daher für die Fälle maßgeblich, in denen

  • die VOB/B nicht „als Ganzes“ vereinbart worden ist und
  • der Auftraggeber der Verwender der VOB/B ist.

Blick auf den konkreten Fall

Ein Generalunternehmer (AG) wird mit dem Ausbau der Stadtbahnlinie beauftragt. Mit der Ausführung der Straßen- und Tiefbauarbeiten entlang der Stadtbahntrasse beauftragt er einen Nachunternehmer (AN). Die Auftragssumme beläuft sich auf 3.031.527,96 € netto. AG und AN unterzeichnen hierzu im Oktober 2004 ein Verhandlungsprotokoll. Vertragsbestandteil ist danach unter anderem die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung. Die weiteren (vorrangig geltenden) Vertragsbestandteile sehen vor, dass die Einheitspreise fest und unveränderbar sind. Sie sehen außerdem vor, dass der AG Abschlagszahlungen bis zu 90 % der nachgewiesenen Leistungen zu zahlen hat.

Nach dem zugrunde liegenden Leistungsverzeichnis ist vorgesehen, dass der AN in Bezug auf den Straßenbord „Rückenstütze aus Beton B 25 nach Zeichnung herstellen“ und „Unterbeton B 25 liefern und nach Zeichnung herstellen“ soll.

Zwischen den Vertragspartnern ist streitig, ob sich die geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 (diese entspricht der neuen Bezeichnung C 20/25) auf den Beton im angelieferten Zustand (Auffassung des AN) oder im verbauten Zustand (Auffassung des AG) bezieht.

Der AG ist der Auffassung, dass der AN Beton der Festigkeitsklasse B 25 im eingebauten Zustand schuldet und dass der eingebaute Beton diese Voraussetzung nicht erfüllt. Er fordert den AN mehrfach auf, diesen Mangel zu beseitigen. Zuletzt setzt er ihm eine Frist zur Mangelbeseitigung bis zum 18.08.2006 und droht ihm für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des Vertrages an. Der AN kommt der Aufforderung des AG nicht nach. Er beseitigt die behaupteten Mängel, die er mit einem Aufwand von ca. 6.000 € bei laufendem Baubetrieb in 2-3 Tagen hätte erledigen können, nicht. Daher erklärt der AG nach Ablauf der Frist am 18.08.2006 die Kündigung des gesamten Bauvertrags gemäß § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002).

Der AG lässt die gekündigten Leistungen im Wege der Ersatzvornahme durch einen Drittunternehmer fertigstellen. Hierfür macht er gegenüber dem AN Ersatzvornahmekosten in Höhe von 4.152.902,75 € geltend. Der AN vertritt dagegen die Auffassung, dass es sich um eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) handelt. Er macht seinerseits einen offenen Restwerklohn in Höhe von 2.465.744,23 € geltend.

Das Urteil

Der BGH stellt in seinem Urteil (vom 19.01.2023 – VII ZR 34/20) fest, dass aufgrund der Abweichungen zur VOB/B (Einheitspreise bleiben fest und unverändert; Abschlagszahlungen werden nur bis 90% der nachgewiesenen Leistungen gezahlt) diese nicht mehr „als Ganzes“ vereinbart worden ist. Somit ist eine Inhaltskontrolle der einzelnen VOB/B-Bestimmungen nach den §§ 305 ff. BGB eröffnet.

Die Inhaltskontrolle ergibt, dass die Regelungen nach § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) den Auftragnehmer im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligen und daher unwirksam sind. Eine Auslegung der Klausel nach dem Wortlaut ergibt, dass der Auftraggeber schon bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln den Vertrag nach § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) aus wichtigem Grund kündigen kann.

Die Tatsache, dass eine Kündigung nach dieser Regelung unabhängig davon besteht, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen. Es wird nicht differenziert nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit bzw. des Mangels. Selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, können nach § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) zur Kündigung aus wichtigem Grund führen.

Zu berücksichtigen ist, dass Zweifel bei der Auslegung von AGB gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders (hier des AG) gehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob ein anderes Klauselverständnis denkbar ist (also z.B. eine Auslegung, wonach dem Auftraggeber die Kündigung des Vertrages nur möglich ist, wenn so schwerwiegenden Vertragswidrigkeiten oder Mängel vorliegen, dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann).

Die Regelung widerspricht dem gesetzlichen Leitbild. Bereits für Verträge ab dem 01.01.2002 war richterrechtlich anerkannt, dass der Auftraggeber einen Werkvertrag (nur) unter bestimmten Voraussetzungen aus wichtigem Grund kündigen kann (für Verträge ab dem 01.01.2018 ist das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nun gesetzlich in § 648a BGB geregelt).

Voraussetzung hierfür ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2019 - VII ZR 1/19, Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 08.03.2012 - VII ZR 118/10, Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).

Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Umstände, die einen Bezug zu der mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, können so schwerwiegend sein, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann sich etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit bzw. des Mangels ergeben.

Inwiefern eine Kündigung des AG aus wichtigem Grund möglich war, kann der BGH nicht selbst prüfen. Dazu fehlen die notwendigen Feststellungen des Berufungsgerichts. Der BGH hebt daher das Urteil des Berufungsgerichts (OLG Naumburg) auf und verweist den Rechtsstreit an dieses zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Der BGH stellt außerdem fest, dass § 8 Nr. 3 S. 1 S. 1 VOB/B (2002) im Übrigen – soweit die Bestimmung sich nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) bezieht – wirksam bleibt. Es handelt sich bei § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) um eine inhaltlich trennbare Regelung, die von den übrigen Kündigungstatbeständen des § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 VOB/B (2002) getrennt werden kann.

Bedeutung für die Praxis

Das BGH-Urteil ist auch für die nachfolgenden Fassungen der VOB/B relevant. Denn die dortigen Regelungen entsprechen der Regelung in § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002).

Eine Kündigung des Auftraggebers nach der genannten Vertragsklausel kommt daher nur noch dann in Betracht, wenn entweder die VOB/B „als Ganzes“ Vertragsbestandteil geworden ist oder der Auftragnehmer Verwender der VOB/B ist.

In allen übrigen Fällen kann eine Kündigung aus wichtigem Grund nur noch unter den besonderen Voraussetzungen erfolgen, die der BGH aufgestellt hat. Für Verträge, die zwischen dem 01.01.2002 und vor dem 01.01.2018 geschlossen worden sind, ergibt sich eine solche Kündigungsmöglichkeit aus der Rechtsprechung des BGH (Richterrecht). Für Verträge ab dem 01.01.2018 ergibt sich eine solche Möglichkeit aus § 648a BGB.

Daneben bleibt ggf. die Möglichkeit des Auftraggebers, einen Vertrag nach § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 8 Nr. 1 VOB/B bzw. § 8 Nr. 3, § 5 Nr. 4 VOB/B unter den dortigen Voraussetzungen zu kündigen (in späteren Fassungen der VOB/B: § 8 Abs. 3, § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B bzw. § 8 Abs. 3, § 5 Abs. 4 VOB/B).

Zu beachten ist, dass sich nur Vertragspartner des Verwenders auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen kann. Sofern daher der Auftraggeber Verwender der Vertragsklausel ist, hat er außerdem bei einer Teilkündigung (§ 8 Nr. 3 S. 2 VOB/B bzw. § 8 Abs. 3 S. 2 VOB/B) zu beachten, dass die Teilkündigung nur auf einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung beschränkt werden kann. Auf die weitergehende Regelung in § 648a Abs. 2 BGB, die eine Teilkündigung bereits für einen abgrenzbaren Teil des geschuldeten Werks zulässt, kann sich der Auftraggeber als Verwender der VOB/B nicht berufen.

Schließlich ist zu beachten, dass jedenfalls alle ab dem 01.01.2018 geschlossenen Bauverträge gemäß § 650h BGB nur unter Einhaltung der gesetzlichen Schriftform gekündigt werden können. E-Mails reichen daher nicht aus (bereits für das Schriftformerfordernis nach § 8 Abs. 6 VOB/B war umstritten, ob eine E-Mail ausreicht; dieser Streit hat sich für alle ab dem 01.01.2018 geschlossenen Verträge durch § 650h BGB erübrigt).

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Rückert
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
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