Kündigungsrecht Mängelbeseitigung
Recht & Verwaltung24 Mai, 2023

Neues aus Karlsruhe zum Kündigungsrecht aus § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B

Wir werfen einen tiefergehenden Blick auf die Entscheidung des VII. Senats (BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20) zum § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B.

von RA Dr. Bernhard von Kiedrowski

In den zurückliegenden Jahrzehnten ist es die Rechtsprechung gewesen, die Einzelregelungen der VOB/B auf dem Prüfstand einer (AGB-)Kontrolle mit Samthandschuhen angefasst und einer Sonderbehandlung hat zukommen lassen. So sind Entscheidungen, bei denen einerseits die Unklarheitenregel aus § 305c Abs. 2 BGB und andererseits die Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB im Bereich der VOB/B zur Anwendung gekommen sind, äußerst rar gesät.

Dies muss verwundern, sind doch eine Vielzahl von VOB/B-Regelungen sprachlich unklar und damit mehrdeutig formuliert bzw. werfen im Hinblick auf ihre Abweichung zum dispositiven Recht (insbesondere nach Inkrafttreten des neuen Bauvertragsrechts) nicht unerhebliche Wirksamkeitszweifel auf.

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Entscheidung des VII. Senats (BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20) zu § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B zu begrüßen. Danach benachteiligt die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. VOB/B (2002) den Auftragnehmer für den Fall, dass der Auftraggeber der Verwender der VOB/B ist und die VOB/B nicht im Ganzen vereinbart worden ist, unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb unwirksam.

Bezieht sich Mängelbeseitigungsanspruch auf sämtliche Mängel?
§ 4 Abs. 7 Satz 1 VOB/B regelt die Verpflichtung des Auftragnehmers, erbrachte Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelbehaftet erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie ersetzen zu müssen. Diese Regelung lässt sich zunächst dahingehend auslegen, dass sich der Mangelbeseitigungsanspruch und das daran geknüpfte Kündigungsrecht des Auftraggebers auf sämtliche Mängel bezieht.

Danach werden zunächst alle (wesentlichen) Mängel erfasst, deren Beseitigung aus technischen Gründen im weiteren Bauablauf nicht mehr möglich ist, weiter alle wesentlichen Mängel, die bis zur Vollendung des Werks vom Auftragnehmer noch beseitigt werden können, und schließlich alle unwesentlichen Mängel, wegen derer der Auftraggeber eine spätere Abnahme nicht verweigern kann.

Dem entgegen sind es einzelne Instanzgerichte gewesen, die das außerordentliche Kündigungsrecht aus § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B mit einer eingeschränkten – den Wirksamkeitsanforderungen der Inhaltskontrolle nachgezeichneten – Auslegung angewendet haben (Vgl. insbesondere OLG Koblenz, Urt. v. 28.07.2020 – 4 U 1282/17).

Eine restriktive Auslegung verstößt gegen § 305c Abs. 2 BGB, wonach die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen ist, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstigt. Damit geht es um die Frage, ob eine alle Mängel erfassende (weite) Auslegungsvariante eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers begründet. Dies ist zu bejahen, da § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B (i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. VOB/B) zugunsten des Auftraggebers ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund schafft, bei dem bereits ein im Bauwerk verkörperter werden kann, ausreicht, um ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten des Auftragnehmers zu bejahen, dass die vertragliche Vertrauensgrundlage beim Auftraggeber erschüttert und ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar macht.

Blick nach vorne
Damit ist der Blick nach vorne darauf zu richten, wie die Lücke zu schließen ist: Konkret wird es darauf ankommen, ob die vom Auftraggeber erklärte Kündigung als außerordentliche Kündigung nach § 648a Abs. 1 BGB Fortbestand hat.

Zwar ist das Bestehen eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund stets Frage des konkreten Einzelfalls, dennoch soll nachfolgend versucht werden, einzelne Fallkonstellationen zu skizzieren: Sind die vom Auftragnehmer erbrachten Leistungen mit wesentlichen Mängeln behaftet, die aus technischen Gründen im weiteren Bauverlauf nicht mehr zu beseitigen sind, ist ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund – wie auch § 323 Abs. 4 BGB belegt – zu bejahen.

Liegen dementgegen unwesentliche nicht mehr zu beseitigende Mängel vor, erscheint das Bestehen eines außerordentlichen Kündigungsrechts fraglich, da unwesentliche Mängel den Auftraggeber nicht dazu berechtigen, die Abnahme verweigern zu können. Auch folgt aus § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, dass dem Auftraggeber bei Vorliegen einer unwesentlichen Pflichtverletzung kein Rücktrittsrecht zusteht.

Liegt vor Fälligkeit des Herstellungsanspruchs ein behebbarer unwesentlicher oder wesentlicher Mangel vor, spricht alles dafür, dass kein außerordentliches Kündigungsrecht des Auftraggebers besteht. Dies deshalb, da dem Auftragnehmer das Dispositionsrecht zukommt, die Mängel bis zum Eintritt der Fälligkeit bei eigenständiger Bestimmung des Zeitpunkts beseitigen zu können. Abschließend stellt sich die Frage, was gilt, wenn das Interesse des Auftraggebers auf eine Mangelbeseitigung zu einem bestimmten Zeitpunkt gerichtet ist, weil er schon frühzeitig Teile des zu errichtenden Werkes anderen Unternehmern aufnahmebereit, d.h. mangelfrei, zur Verfügung stellen will.

Hier wird es darauf ankommen, ob der Auftraggeber eine mangelfreie Leistungserbringung von Teilleistungen durch die Vereinbarung von Zwischenterminen gesichert hat. Ist nämlich ein (auf eine Teilleistung beschränkter) Herstellungsanspruch fällig, kann der Auftraggeber die insoweit bestehenden Rechte aus §§ 323, 281 BGB aktivieren. Sind keine Zwischenfristen vereinbart, streitet die (Dispositions-)Befugnis des Auftragnehmers, den Zeitpunkt der Mangelbeseitigung nach Belieben bestimmen zu können, gegen das Bestehen eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund.

Unklarheitenregel aus § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung gebracht

Abschließend ist hervorzuheben, dass der BGH mit der vorliegenden Entscheidung bei einer VOB/B-Regelung erstmalig die Unklarheitenregel aus § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung gebracht hat. Damit kann festgehalten werden, dass bei unterschiedlichen Auslegungsergebnissen zunächst die kundenfeindlichste Auslegungsvariante der VOB/B-Regelung auf dem Prüfstand einer – zur Anwendung kommenden isolierten – Inhaltskontrolle zu bewerten ist.

Hält die Regelung der Inhaltskontrolle nicht stand, ist die VOB/B-Regelung unwirksam und die Lücke durch das dispositive Recht zu schließen. Halten beide Auslegungsergebnisse einer Inhaltskontrolle stand, kommt die für den Vertragspartner kundenfreundlichste Auslegungsvariante zur Anwendung; dies gilt im Übrigen auch dann, wenn die VOB/B im Ganzen vereinbart worden ist (vgl. § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). In Zukunft wird es also für die Frage, ob und wenn ja, mit welchem Inhalt eine VOB/B-Regelung zur Anwendung kommt, darauf ankommen, wer Verwender der – modifizierten – VOB/B gewesen ist.

Deutlich wird dies, wenn es um die Auslegung des Begriffs „in sich abgeschlossene Teile der Leistung“ in § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 bzw. § 12 Abs. 2 VOB/B geht. Kommt es bei der Auslegung und Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB darauf an, wer Verwender der VOB/B gewesen ist, ist nicht gesagt, dass der Begriff stets einheitlich auszulegen ist (Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 20.08.2009 – VII ZR 212/07).

Meint es der DVA ernst, für die beteiligten Verkehrskreise im praktischen Anwendungsfall verlässliche Ersatzregelungen bereitstellen zu wollen, muss dies bedeuten, die VOB/B im Hinblick auf die Mehrdeutigkeit und Unklarheit zahlreicher Einzelregelungen grundlegend zu überarbeiten und insgesamt an die Vorgaben des Bürgerlichen Gesetzbuches (und neuen Bauvertragsrechts) anzupassen. „Kleinstmangel“, der vom Auftragnehmer noch bis zum Eintritt der Fälligkeit des Herstellungsanspruchs beseitigt
Bernhard von Kiedrowski
Autor

RA Dr. Bernhard von Kiedrowski

Partner in der Kanzlei Kiedrowski |
Caspary Rechtsanwälte. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Private Bau- und Architektenrecht sowie Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht.
Bildnachweis: bannafarsai/stock.adobe.com
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