Recht & Verwaltung14 Juli, 2020

Löst Corona eine Digitalisierungswelle in deutschen Anwaltskanzleien aus?

Mit dem coronabedingten Lockdown und Kontaktbeschränkungen kamen Homeoffice und dezentrales Arbeiten – und in zahlreichen Rechtsanwaltskanzleien die Panik, von heute auf morgen nicht mehr arbeitsfähig zu sein. Bernhard Münster, Business Manager Legal Digital bei Wolters Kluwer Deutschland, über die Reaktionen der Anwaltschaft und die Entwicklungen, die Corona ins Rollen brachte.

Das Wichtigste vorweg: Die Corona-Pandemie ist der wohl größte Treiber der Digitalisierung in der Geschichte. Durch sie erlebt auch die deutsche Anwaltschaft in weiten Teilen gerade eine Art „Zwangsdigitalisierung“. Einige Kanzleien waren vor dem coronabedingten Lockdown schon so aufgestellt, dass sie den Wechsel ins Homeoffice vollziehen konnten – doch bei den meisten prägte die Präsenzkultur das Tagesgeschäft und das dezentrale Arbeiten stellte eine Herausforderung dar. Im Austausch mit unseren Kunden aus der Anwaltschaft kristallisierte sich in diesem Zusammenhang heraus, dass trotz wichtiger erster Schritte ein weit verbreitetes, großes Digitalisierungspotenzial besteht.

Ready-to-use-Lösungen gefragt

Das Corona-Virus und der mit seiner Bekämpfung verbundene Lockdown zeigten dann mit drastischen Mitteln die Notwendigkeit für eine digitale Aktenführung und Fallbearbeitung auf: Sie sind in Zeiten wie diesen überlebenswichtig für Kanzleien. Und – diese Erkenntnis gewinnt allmählich an Raum – sie sind auch sonst hochgradig hilfreich. Es zeigte sich: Das Aufschalten von Lösungen zur digitalen Fallbearbeitung ließ sich von jetzt auf gleich realisieren und das Tool sogleich nutzen – ganz ohne Digitalisierungsstrategie und Schulungen. So erfolgte in vielen Kanzleien die gefürchtete Veränderung von Prozessen schlicht anhand der aktuellen Bedarfslage.

Mittlerweile hat die Phase der Justierung begonnen. Derzeit stehen Fragen im Mittelpunkt, die die konsequente Weiterentwicklung der eigenen Digitalisierung betreffen, wie man die spontan aufgeschalteten Tools und Prozesse noch intensiver nutzen und sinnvoll ergänzen kann.

Der Arbeitsalltag hat sich in den meisten Kanzleien nachhaltig und dauerhaft verändert

An der Stelle zeigt sich auch jetzt schon: Wie das Virus nachhaltig eine neue gesellschaftliche Realität prägen wird, hat sich auch der Arbeitsalltag in den allermeisten Kanzleien nachhaltig und dauerhaft verändert. Die neue Normalität ist in weiten Teilen digital, und das Rad der Digitalisierung hat sich mit der Verringerung der Einschränkungen nicht wieder zurückgedreht. Inwieweit es sich weiter und wie schnell es sich in Zukunft drehen wird, wird sicherlich sehr individuell sein. Doch ist davon auszugehen, dass Homeoffice, kollaboratives und ortsungebundenes Arbeiten ihren Platz im Kanzleialltag dauerhaft behalten werden und ihre Akzeptanz auch in den Führungsetagen und bei der Mandantschaft dauerhaft steigen wird.

Auch die inhaltlichen Vorzüge einer digitalen Fallbearbeitung dürfte kaum noch eine Kanzlei, die sie einmal eingesetzt hat, missen wollen: Neuerungen und Ergänzungen sind binnen 24 Stunden nach Inkrafttreten verfügbar, können also unmittelbar in die Fallbearbeitung einfließen. Workflows beschleunigen sich dank des Einsatzes digitaler Tools, die Aktenführung wird einfacher, übersichtlicher, sicherer, Haftungsrisiken werden minimiert.

Natürlich wird die Zukunft nicht voll digital sein, aber die Zeit des Lockdowns zeigte, dass viele Bereiche, die man bis dahin für zwingend analog hielt, sich in digitaler Form nicht nur provisorisch weiterführen lassen, sondern man mit digitalen Lösungen nachhaltig gut und sogar besser fährt.

Digitale Weiterbildung

Die drastische Akzeptanzsteigerung von Digitalität im Kanzleiumfeld gilt auch für den Fortbildungsbereich. Zwar ersetzt die digitale Schulung nicht das Networking einer Präsenzveranstaltung, aber sie ist weitaus mehr als ein Notbehelf. Das haben viele Berufsträger in den vergangenen Monaten teils überrascht feststellen dürfen. Der Informationsbedarf sowohl zu digitalen Anwendungen als auch auf der fachlichen Ebene war riesig, und die Möglichkeiten diesen, auch sehr kurzfristig, zu bedienen, haben auf ganzer Linie überzeugt. Auch hier hat sich mittlerweile eine gewisse Routine und sogar Wertschätzung eingestellt. Deshalb dürfte eine weitere Errungenschaft der Corona-Zeit sein, dass sich digitale Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen dauerhaft etablieren und als inhaltlich gleichwertig mit Präsenzveranstaltungen wahrgenommen werden.

Fazit: Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass das seit Jahren in weiten Bereichen des Rechtsmarktes dahindümpelnde Thema Digitalisierung enorm an Dynamik gewonnen hat. Noch stehen viel Akteure am Anfang, aber wichtige Weichen für eine konsequente und vor allem flächendeckende Digitalisierung sind nun gestellt, und eine Akzeptanz auf breiter Front ist entstanden. Die bis heute erfolgten Veränderungen dürften sich als unumkehrbar und gleichzeitig als solide Grundlage für das systematische weitere Vorantreiben der Digitalisierung des deutschen Rechtsmarktes erweisen.

Bernhard Münster
"Wichtige Weichen für eine konsequente Digitalisierung sind nun gestellt. Die erfolgten Veränderungen dürften sich als unumkehrbar und solide Grundlage für das systematische Vorantreiben der Digitalisierung des deutschen Rechtsmarktes erweisen."

Bernhard Münster

Business Manager Legal Digital
Wolters Kluwer Deutschland


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