Bürgergeld: Kooperationsplan nach § 15 SGB II ab 01.07.2023 in „Textform“ – ein Kommentar
Recht & Verwaltung10 Februar, 2023

Bürgergeld: Kooperationsplan nach § 15 SGB II ab 01.07.2023 in „Textform“ – ein Kommentar

Alexander Lahne, Leiter des Sachgebietes „Recht im SGB II“, Landratsamt München

Ab Juli 2023 können Integrationsfachkräfte in den Jobcentern keine Eingliederungsvereinbarungen mehr abschließen: Das Bürgergeld-Gesetz bringt den „Kooperationsplan“ als gewollt unverbindlicheres Instrument zur Integration mit sich.
Das Gesetz erwähnt im Zusammenhang mit dieser Neuerung die „Textform“. Führt diese Umgestaltung zu mehr Einfachheit?
Zum 01.07.2023 wird ein zentrales Instrument der Arbeit von Integrationsfachkräften in den Jobcentern gegen ein anderes ausgetauscht: Die Eingliederungsvereinbarung geht und der Kooperationsplan kommt.

Die entsprechenden rechtlichen Eckdaten bleiben weiterhin, dann in entsprechend angepasster Form, in der Vorschrift des § 15 SGB II festgeschrieben. Dort wird sich, geltend ab Sommer 2023, in Absatz 3 der Hinweis finden, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person den Kooperationsplan in „Textform“ erhalten soll. Was aber bedeutet das genau? Wie sieht das aus? 

Bisher: Die Eingliederungsvereinbarung in Schriftform

Bezüglich der Frage, welcher Form eine (in der ersten Hälfte des Jahres 2023 noch statthafte) Eingliederungsvereinbarung zu entsprechen hat, findet sich kein Hinweis im Gesetz. Die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II stellt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag dar. Dies ist so anerkannt, dass es hierfür nicht einmal eine Quellenangabe braucht.   

Mit dieser Zuordnung kommt die Vorschrift des § 56 SGB X zum Tragen, wonach öffentlich-rechtliche Verträge der Schriftform bedürfen, soweit sich in entsprechenden Rechtsvorschriften nichts Anderslautendes findet. Letzteres ist eben nicht der Fall: Die auf die Eingliederungsvereinbarung zugeschnittene Fassung des § 15 SGB II trifft dazu keine Aussage.

Somit war die Schriftform für Eingliederungsvereinbarungen ein Muss. „Schriftform“ bedeutet in Anlehnung an die Vorschrift des § 126 BGB, dass sich zwei Unterschriften auf einem Dokument zu finden haben, welches - im Fall einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II - die zwischen der leistungsberechtigten Person und der Integrationsfachkraft ausgehandelten Inhalte aufweist. Diese Inhalte zielen regelmäßig in die Richtung der Integration der leistungsberechtigten Person.

Die Rechtsprechung ging dabei so weit, eine Eingliederungsvereinbarung, welche dem gesetzlichen Schriftformerfordernis nicht genügte, nach § 125 S. 1 BGB als nichtig abzustempeln (vgl. Hessisches LSG, B. v. 17.10.2008 – L 7 AS 251/08 B ER, L 7 AS 252/08 B ER, L 7 AS 253/08 B ER). Dementsprechend ist die Praxis zur Eingliederungsvereinbarung in den Grundsicherungsträgern des SGB II diejenige, einen Ausdruck zu erstellen, diesen von beiden Seiten unterschreiben zu lassen, und, nach Aushändigung eines entsprechenden Exemplars an die leistungsberechtigte Person, zu den Akten zu nehmen. 

Neu zum 01.07.2023: Der Kooperationsplan in Textform

Mit dem Bürgergeld-Gesetz wird der Gedanke der „rechtlichen Unverbindlichkeit“ in das SGB II hineingetragen, soweit es um die Festlegung von Schritten zur Integration in Arbeit geht, welche zwischen der leistungsberechtigten Person und der Integrationsfachkraft auszuhandeln sind (vgl. Regierungsentwurf zum Bürgergeld-Gesetz, Seite 94).

Mit der Neugestaltung des SGB II durch das Bürgergeld-Gesetz wird die Eingliederungsvereinbarung zum 01.07.2023 durch den Kooperationsplan ersetzt. Ein solcher soll „gemeinsam“ mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person erstellt werden.

Dahinstehen soll hier, ob ein Kooperationsplan – im Gegensatz zur Eingliederungsvereinbarung – tatsächlich keinen öffentlich-rechtlichen Vertrag darstellt, wie dies vom Regierungsentwurf zum Bürgergeld-Gesetz ohne Umschweife in den Raum gestellt wird. Selbst wenn man sich nämlich für eine Einordnung als öffentlich-rechtlicher Vertrag entscheiden würde, landete man bezüglich der Formfrage wieder bei § 126 BGB, also beim Grundsatz der Schriftform mit seiner Ausnahmeregelung – und eine solche Regelung greift ab dem 01.07.2023 ein: In § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II n. F. findet sich der ausdrückliche Hinweis auf die „Textform“, in welcher die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person den Kooperationsplan „erhält“. 

So oder so muss der Begriff der „Textform“ also unter die Lupe genommen werden. Hierzu bietet sich ein Blick in die Vorschrift des § 126b BGB an. Der Wortlaut ist wie folgt: 

 § 126b Textform

Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das

  1. es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und

  2. geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben.


Nebenbei: Eine „lesbare Erklärung“ auf einem „dauerhaften Datenträger“ soll dabei auch im Falle einer Urkunde gegeben sein (vgl. Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, Rn. 4); auch ein Papierdokument ist ein „dauerhafter Datenträger“ (vgl. HK-BGB/Heinrich Dörner § 126b, Rn. 4).  

Es muss wohl allein auf die Definition des § 126b BGB zurückgegriffen werden, da sich im Regierungsentwurf zum Bürgergeld-Gesetz (dort auf S. 95) zur Frage der „Textform“ nur Ausführungen dahingehend finden, dass „grundsätzlich auch alle elektronischen Formate und Formen zur Dokumentation möglich“ seien. Die „gemeinsame Kommunikation zum Kooperationsplan“ soll dabei „flexibel in vielfältiger Form“ möglich sein.  

Zur Frage, wie das Ergebnis der „gemeinsamen Kommunikation“ aussehen soll, findet sich jedoch keine klare Antwort. 

Betrachtet man § 126b BGB, so fällt auf, dass diese Norm auf eine „Erklärung“ zugeschnitten ist, wobei „Erklärender“ und „Empfänger“ beteiligt sein sollen. Diese Legaldefinition ist aus sich heraus also auf eine einseitige Erklärung zugeschnitten, nicht aber auf ein konsensuales Instrument wie einen Kooperationsplan. Schon dies kann nachdenklich stimmen, vor allem dann, wenn man sich die „Gegenvorschrift“ des § 126 BGB vor Augen hält, welcher die strengere Schriftform regelt: Dort findet sich nämlich in Absatz 2 eine Sonderregelung zu Verträgen. Die Vorschrift des § 126b BGB geht indes nicht zu Inhalten zu einer (einseitigen) „Erklärung“ hinaus. 

Zur Beweisfunktion der Textform

Weitaus bedenklicher jedoch ist Folgendes: Die Textform, welche sich von der strengeren Schriftform im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass Unterschriften verzichtbar sind, wird vom Gesetzgeber in solchen Fällen als ausreichend erachtet, in welchen die Informations- und Dokumentationsfunktion im Verhältnis zur Beweisfunktion überwiegt und in welchen eine Warnfunktion keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielt (Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, Rn. 1).

Wohnt einem Kooperationsplan nach dem SGB II also keine bzw. nur eine untergeordnete Beweisfunktion inne?  

Dem ist wohl nicht so. So soll im Falle der Nichteinhaltung einer im Kooperationsplan festgehaltenen Absprache durch die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person diese Pflicht sodann nochmals förmlich durch eine entsprechende „Aufforderung“ (vgl. § 15 Abs. 5 Satz 2 SGB II n.F.) auferlegt werden. Solche Aufforderungen sollen „grundsätzlich“ mit Rechtsfolgenbelehrung erfolgen und dann im Falle des Nichtbefolgens den Tatbestand einer Leistungsminderung (veraltet: „Sanktion“) darstellen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung). Im Falle der richterlichen Überprüfung einer solchen Leistungsminderung würde dann die Frage nach dem Kooperationsplan auf den Tisch kommen, welcher schließlich überhaupt erst einmal zustande gekommen sein muss, um im Falle der Nichteinhaltung zu einer förmlichen Aufforderung im Sinne des § 15 Abs. 5 Satz 2 SGB II n.F.) zu führen. 

Oder deutlicher:
Eine „Aufforderung“ als Tatbestandsvoraussetzung für eine Leistungsminderung hat immer einen Kooperationsplan mit seinen Inhalten als Grundlage. Ohne nachweislich vereinbarten Kooperationsplan und ohne die Nichteinhaltung der dort festgehaltenen Absprache kann es also keine förmliche Aufforderung geben – und damit auch keine Leistungsminderung. Es überzeugt also nicht, für das Instrument des Kooperationsplanes eine Form zu wählen, welcher keine bzw. eine nur marginale Beweisfunktion innewohnt.  

Darüber hinaus stellt sich ernsthaft die Frage, wie ein „gemeinsam erstellter“ (§ 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II n. F.!) Kooperationsplan im Ergebnis denn nun aussehen soll. Es gilt nämlich das Erfordernis, dass auch in „Textform“ sichergestellt sein muss, dass erkennbar ist, wo sich das Ende der Erklärung befindet. Dieses kann durch die Nennung des Namens am Ende des Textes, ein Faksimile oder eine eingescannte Unterschrift gesetzt werden (vgl. Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, Rn. 8 m. w. N.). Ganz so locker handhabbar, wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Textform dann also doch nicht.

Fazit des Autors

  • Zum 01.07.2023 wird die Eingliederungsvereinbarung in Schriftform durch den (rechtlich unverbindlicheren) Kooperationsplan in Textform abgelöst.

  • Der Textform kommt eine geringere Beweisfunktion als der Schriftform zu – bei der Textform überwiegt die Informations- und Dokumentationsfunktion.

  • Wie ein fertiger Kooperationsplan letztlich konkret auszusehen hat, wird im Regierungsentwurf zum Bürgergeld-Gesetz nicht präzisiert.  

Wo steht man also nun am Ende?

  • Der Verfasser jedenfalls steht an dem Punkt, zu raten, die Form des Kooperationsplanes an die Form der Eingliederungsvereinbarung anzulehnen.

  • Für ihn stellt sich die gewollte „rechtliche Unverbindlichkeit“ hier als eine Neuerung dar, die letztlich über ihre eigenen Füße stolpern könnte.  

Anmerkung der Redaktion:

Alle weiteren Expertenbeiträge von Herrn Lahne sowie die Aufzeichnung des Online-Seminars zum Bürgergeld-Gesetz und den Auswirkungen für die Leistungsstellen der Jobcenter finden Sie hier: Fokus Hub – Bürgergeld.

Autor
Alexander Lahne ist Leiter des Sachgebiets „Recht im SGB II“ in einem großen bayerischen Jobcenter und hat langjährige Erfahrung im Bereich der Widerspruchs- und Klagebearbeitung auf diesem Rechtsgebiet gesammelt. Außerdem ist er Autor und Mitautor einschlägiger Fachliteratur wie z.B. zum Thema Potenzialanalyse in eGovPraxis Jobcenter.

Nebenberuflich ist er als Referent tätig und bietet ganztägige Seminare zu verschiedenen Themen aus den Bereichen SGB II und SGB X an: https://lahne-rechtsseminare.de/
Bildnachweis: Liubomir/stock.adobe.com
Alexander Lahne
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