Angebotsabgabe konzernverbundener Unternehmen
Recht & Verwaltung19 Juni, 2023

Angebotsabgabe konzernverbundener Unternehmen

Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, gehören häufig zu einem Konzernverbund, in dem sie mit anderen Gesellschaften verbunden sind. Es bestehen besondere vergaberechtliche Voraussetzungen dafür, dass sich konzernverbundene oder konzernangehörige Unternehmen mit eigenen Angeboten an einem Vergabeverfahren beteiligen dürfen.

RA Henning Feldmann


Ausgangspunkt: Geheimwettbewerb

Ein tragendes Prinzip eines jeden Vergabeverfahrens ist der Geheimwettbewerb. Geheimwettbewerb bedeutet, dass Bieter weder das Angebot noch die Angebotskalkulation oder andere Grundlagen und Inhalte des Angebots eines anderen Bieters ganz noch teilweise kennen dürfen. Bieter dürfen auch nicht wissen, welche anderen Unternehmen sich überhaupt noch an einem Vergabeverfahren beteiligen, d.h. für welche Lose sie ein Angebot abgeben und für welche nicht.

Liegen dem öffentlichen Auftraggeber hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Unternehmen mit anderen Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Absprachen getroffen hat, kann er die Bieterfirmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom weiteren Vergabeverfahren ausschließen. Dieser Tatbestand erfasst nicht nur ausdrückliche Vereinbarungen zwischen den Bietern (z.B.: Unternehmen A sagt zu, sich am Vergabeverfahren X nicht zu beteiligen, dafür verspricht Unternehmen B, sich beim Vergabeverfahren Y rauszuhalten), sondern auch sonstige aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen und auch Verstöße gegen den Geheimwettbewerb.


Grundsätzliche Vermutung eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb

Konzernverbundene oder konzernangehörige Unternehmen müssen besondere Voraussetzungen erfüllen, wenn sie sich jeweils gesondert an einem Vergabeverfahren beteiligen wollen. Denn nach jüngster Rechtsprechung der Vergabekammer Rheinland (Beschluss vom 19.05.2021 – VK 6/21-L) besteht eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass der Geheimwettbewerb nicht gewahrt ist, wenn sich mehrere Unternehmen, die zu demselben Konzernverbund gehören, an einem Vergabeverfahren beteiligen.

Gegenstand dieses Verfahrens war die Ausschreibung von Leistungen der Kampfmittelbeseitigung in 15 Losen. Der Auftraggeber wollte die Zuschläge auf einzelne Lose an zwei Schwesterunternehmen erteilen, die demselben Konzernverbund angehörten. Ein Bieter rügte die Zuschlagserteilung an diese Bieter mit dem Argument, dass wegen der engen Verflechtungen der Unternehmen (beide Unternehmen hatten jeweils die gleichen Geschäftsführer) die Vermutung bestehe, diese könnten sich bei Angebotsabgabe wettbewerbswidrig abgesprochen haben. Der Auftraggeber hielt nach durchgeführter Prüfung an seiner Zuschlagsentscheidung fest und vertraute hierbei auf eine eidesstattliche Erklärung beider Unternehmen, dass diese ihre Angebote unabhängig voneinander abgegeben haben. Die Unternehmen erklärten hierin, dass sie in jeder Hinsicht eigenständig agieren und die Angebotsabgabe zudem allein in der Verantwortung der Prokuristen der jeweiligen Unternehmen, nicht aber in der der Geschäftsführer gelegen hätten.

Dies überzeugte die Vergabekammer nicht. Zwar sei die Teilnahme verbundener Unternehmen am selben Vergabeverfahren nicht generell verboten. Es bestehe aber auf Grund der engen Verbindung der beiden Unternehmen eine widerlegbare Vermutung für wettbewerbswidrige Absprachen. Hierbei bezog sich die Vergabekammer insbesondere auf die Personenidentität auf Geschäftsführerebene, auf Grund derer beide Unternehmen per se Zugriff auf alle angebotsrelevanten Informationen des jeweils anderen Unternehmens hätten.

Insbesondere stellte die Vergabekammer fest, dass es zur Widerlegung der Vermutung eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb nicht ausreiche, lediglich zu versichern, dass die Angebote unabhängig voneinander erstellt worden seien. Vielmehr, so die Vergabekammer, „obliegt den verbundenen Unternehmen anhand konkreter Ausführungen die Darstellung derjenigen strukturellen Umstände, die einen Wettbewerbsverstoß bereits im Ansatz effektiv verhindern.“


Auswirkungen für die Praxis

Zwar ist nach der Rechtsprechung geklärt, dass Angebote von konzernverbundenen Unternehmen nicht automatisch ausgeschlossen werden dürfen. Die Unternehmen müssen vor Angebotsabgabe angehört werden und die Möglichkeit erhalten, die Unabhängigkeit ihrer Angebote nachzuweisen (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 08.12.2022 – C-769/21 sowie EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – C-538/07). Es besteht hierbei keine generelle Verpflichtung, dies bereits ungefragt mit dem Angebot zu tun. Dies wäre vielfach auch gar nicht möglich, denn wenn konzernverbundene Unternehmen tatsächlich unabhängig voneinander agieren und ihre Angebote selbständig ausarbeiten, weiß das eine Unternehmen gar nicht, dass und welches andere konzernverbundene Unternehmen sich sonst noch um den Auftrag bemüht und ein Angebot abgibt.

Der Auftraggeber muss die Darlegungen der konzernverbundenen Unternehmen sorgfältig prüfen, wobei es auf die Würdigung des Einzelfalls ankommt. Selbst die Unterzeichnung der Angebote der konzernverbundenen Unternehmen durch dieselbe Person bedeutet nach der Rechtsprechung des EuGH nicht per se einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb (EuGH, Urteil v. 8.2.2018 -C-144/17). Nach dem EuGH muss Auftraggeber „eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen [vornehmen], um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen […] Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können“ (EuGH, Urt. v. 15.09.2022, C-416/21).

Der Bieter muss hierbei die grundsätzlich bestehende Vermutung für einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb widerlegen; die Beweislast liegt bei ihm, er muss die Zweifel an der Unabhängigkeit seines Angebots ausräumen. Gelingt ihm der Nachweis nicht oder nicht zur Zufriedenheit des Auftraggebers, ist das Angebot auszuschließen.


Besonderheiten des betreffenden Vergabeverfahrens beachten

In jedem Fall müssen Bieter die Besonderheiten und Vorgaben des jeweils betreffenden Vergabeverfahrens beachten.

So sehen einzelne Vergabeverfahren beispielsweise eine Loslimitierung dergestalt vor, dass ein Bieter sich nur für eine bestimmte Anzahl an Losen bewerben darf (Angebotslimitierung) oder den Zuschlag nur für eine bestimmte Anzahl an Losen erhalten kann (Zuschlagslimitierung).

Dann liegt der Verdacht nahe, dass durch eine Angebotsabgabe durch Konzernunternehmen diese Loslimitierung umgangen werden soll, mit anderen Worten: es sollen mehr Zuschläge als eigentlich nach der Loslimitierung möglich in den Konzern geholt werden. In beiden Fällen dürften die Angebote von konzernverbundenen Unternehmen daher unter besonderer Beobachtung stehen und es kommt auf den sorgfältigen Nachweis der unabhängigen Angebotserstellung umso mehr an.

Daneben sehen Vergabeunterlagen vereinzelt vor, dass bereits mit dem Angebot Angaben zur Konzernstruktur gemacht werden müssen oder eine Konzernzugehörigkeit offengelegt werden muss. Diesen Weg wählen Auftraggeber häufig dann, wenn sie auf Grund der besonderen Marktlage und der ihnen bekannten Bieter die Angebotsabgabe durch konzernangehörige Unternehmen „erwarten“. In dem Fall müssen Bieter dem nachkommen und selbstverständlich auch auf Nachfrage die Unabhängigkeit ihres Angebots nachweisen.


Fazit und Empfehlung

Angebote von konzernverbundenen Unternehmen stehen unter besonderer Beobachtung der Auftraggeber. Möchte sich ein Konzernunternehmen an Vergabeverfahren beteiligen und ist ihm bekannt, dass es im Konzern noch weitere Unternehmen gibt, die sich potentiell beteiligen könnten, dürfen sie nicht untätig bleiben sondern müssen - letztlich unabhängig davon, ob sie wissen, dass sich tatsächlich mal ein anderes Konzernunternehmen neben ihnen beteiligen wird - bereits weit im Vorfeld und vor Angebotsabgabe strukturelle Maßnahmen ergreifen, die einen Wettbewerbsverstoß und eine Kenntniserlangung von angebotsrelevanten Informationen durch die jeweils andere Gesellschaft von vornherein effektiv verhindern.

Es muss eine „Chinese wall“ zu anderen Konzernunternehmen eingerichtet werden. Für den Nachweis dieser „Chinese wall“ zwischen beiden Unternehmen sind konkrete organisatorische Vorkehrungen notwendig, die unbedingt im Vorfeld der Beteiligung an einem Vergabeverfahren zu treffen sind und die den Geheimwettbewerb gewährleisten. Dies könnten etwa konkrete interne Zuständigkeitsregelungen sein, daneben Arbeitsanweisungen oder technische Maßnahmen im IT-Bereich wie die Zuteilung von jeweils gesonderten Zugriffsrechten oder das Einrichten gesonderter Arbeits- und Speichermedien. Auch eine räumliche und örtliche Trennung der Geschäftsbereiche ist zu empfehlen.

Bildnachweis: BullRun/stock.adobe.com
Kostenloser Fachbeitrag

Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge

Wer trägt die plötzlichen Mehrkosten? Ist die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestört? Und gibt es wirksame Vertragsanpassungen, die für beide Seiten eine gute Lösung darstellen?
RA Stefan Reichert gibt Ihnen Antworten auf diese aktuellen Fragen.

Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
Back To Top