Urlaubsabgeltung
Recht & Verwaltung11 April, 2024

BAG: Urlaubsabgeltung/-anrechnung im kalenderjahresübergreifenden Doppelarbeitsverhältnis  

Redaktion eGovPraxis Personal

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung. Nach unwirksamer fristloser Kündigung endete das Arbeitsverhältnis durch außerordentliche Kündigung des Beklagten im Mai 2021. Ab Februar 2020 hatte die Klägerin während des Kündigungsrechtsstreits ein neues Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber angetreten. Dieser gewährte der Klägerin 2020 Urlaub von 25 Arbeitstagen und 2021 (bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten) von zehn Arbeitstagen. 

Die Klägerin hat von dem Beklagten die Abgeltung von insgesamt sieben Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs (fünf Arbeitstage aus 2020 und zwei Arbeitstage aus 2021) verlangt. Ihrer Auffassung nach scheide eine Anrechnung des im neuen Arbeitsverhältnis gewährten Urlaubs auf den vertraglichen Mehrurlaub aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten aus. 

Der Beklagte meint, die Klägerin müsse sich den Urlaub, den ihr der neue Arbeitgeber gewährt habe, vollständig anrechnen lassen. 

ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte vor dem BAG teilweise, hinsichtlich der Ansprüche aus 2021, Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG. 

Zur Entscheidung

Das BAG stellt zunächst heraus, dass in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer nach Kündigung seines ursprünglichen Arbeitsverhältnisses ein weiteres Arbeitsverhältnis begründet, in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche entstehen, wenn sich die Kündigung im Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweist. Dies gelte unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen hätte gleichzeitig erfüllen können. Um aber die Verdoppelung von Urlaubsansprüchen und die damit einhergehende Besserstellung des gekündigten Arbeitnehmers zu vermeiden, sei der vom neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub in analoger Anwendung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB auf die Urlaubsansprüche gegen den ursprünglichen Arbeitgeber anzurechnen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitspflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht hätte kumulativ erfüllen können. Dies stelle bei unterschiedlich hohen Urlaubsansprüchen aus beiden Arbeitsverhältnissen sicher, dass dem Arbeitnehmer der höhere Urlaubsanspruch unabhängig davon erhalten bleibe, ob er beim alten oder neuen Arbeitgeber entstanden sei. 

Eine solche Anrechnung von Urlaubsansprüchen setze voraus, dass zwischen dem kündigungsbedingten - rein tatsächlichen - Freiwerden des Arbeitnehmers von der Verpflichtung, seine Arbeitspflicht in dem früheren Arbeitsverhältnis zu erfüllen, und dem Erwerb von Urlaubsansprüchen in dem neuen Arbeitsverhältnis ein kausaler Zusammenhang bestehe. Hiervon sei im Regelfall auszugehen, wenn der Arbeitnehmer anstelle des früheren Vollarbeitsverhältnisses ein Vollarbeitsverhältnis auch bei einem neuen Arbeitgeber begründe. Im Rahmen der Anrechnung müsse gewährleistet sein, dass der Arbeitnehmer auch bei kalenderjahresübergreifenden Sachverhalten seinen gesetzlichen Mindesturlaub erhalte. Deshalb könne der im neuen Arbeitsverhältnis erhaltene Urlaub nicht im Wege einer auf den gesamten Zeitraum, in dem beide Arbeitsverhältnisses bestünden, bezogenen Gesamtberechnung, sondern nur kalenderjahresbezogen auf die Urlaubsansprüche gegen den ursprünglichen Arbeitgeber angerechnet werden. 

Die jahresbezogene Anrechnung gelte dann nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn hierfür wie vorliegend keine gegenüber dem BUrlG abweichenden vertraglichen Regelungen gälten. Die Anrechnung führe im Streitfall zum vollständigen Wegfall des aus 2020 stammenden Urlaubsanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten. Auf den der Klägerin für 2020 gegen den Beklagten zustehenden Urlaubsanspruch in Höhe von 25 Arbeitstagen seien die ihr vom neuen Arbeitgeber gewährten 25 Urlaubstage anzurechnen. 

Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen könne der Senat jedoch nicht entscheiden, ob der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin zwei Tage Mehrurlaub aus 2021 abzugelten. Das LAG habe nicht festgestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der neue Arbeitgeber mit den 2021 gewährten zehn Urlaubstagen ausschließlich Urlaubsansprüche aus 2021 oder Resturlaub aus dem Vorjahr erfüllt habe. 

Praktische Bedeutung

Mit vorstehendem Urteil hat das BAG klargestellt, dass im Rahmen der gebotenen Anrechnung des gewährten gesetzlichen Mindesturlaubs im kündigungsbedingten Doppelarbeitsverhältnis eine kalenderjahresweise Betrachtung anzustellen ist. Dies gilt auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn wie im entschiedenen Fall insoweit nichts vom BUrlG Abweichendes geregelt ist. 

Diese Betrachtung ist zudem auch auf den gegebenenfalls zustehenden akzessorischen Schwerbehindertenzusatzurlaub nach dem SGB IX und auch auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden, soweit Tarifverträge – wie diejenigen des öffentlichen Dienstes – insoweit nichts vom BUrlG Abweichendes regeln. Die Entscheidung des BAG schafft somit für diese Fälle Anwendungssicherheit. 

Quelle: BAG, Urteil vom 5. Dezember 2023 - 9 AZR 230/22 -
 

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