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In diesem Interview spricht Dr. Andreas Schmidt, Richter am Amtsgericht Hamburg (Insolvenzgericht) und u.a Herausgeber des „Hamburger Kommentars“ über das „Praxiswissen Insolvenz - und Restrukturierungsrecht “ und wie es den beruflichen Alltag von Praktiker:innen erleichtert und bereichert. Er stellt die praxisorientierte Herangehensweise des Formats vor, gibt Einblicke in aktuelle Trends des Insolvenzrechts und erklärt, wie Insolvenzverwalter:innen und Richter:innen dazu beitragen können, dass Insolvenzverfahren effizienter und fairer ablaufen.

 

Können Sie bitte kurz erklären, was das “Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht” ist?

Gerne. Das „Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht“ ermöglicht einen innovativen Zugriff auf insolvenz- und restrukturierungsrechtliche Fragestellungen. Die sich stellenden Fragen werden nicht normenspezifisch wie in einem Kommentar, sondern problem- bzw. projektbezogen angegangen. Außerdem enthalten zahlreiche Beiträge nützliche Arbeitshilfen. Mit Hilfe dieser Arbeitshilfen wird das gesamte Umfeld des konkreten Problems visualisiert und kann so quasi auf einen Blick eingeordnet werden. Wer dann tiefer einsteigen will, dem helfen Links auf die einschlägigen Normen, die Rechtsprechung sowie auf ZInsO-Beiträge und die einschlägigen Kommentare wie etwa den „Hamburger Kommentar“.

Was hat Sie dazu bewogen, an der Erstellung des „Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht “ mitzuwirken?

Ich bin seit 20 Jahren Herausgeber des „Hamburger Kommentars zum Insolvenzrecht“ sowie mittlerweile auch weiterer Kommentare, etwa des „Hamburger Kommentars zum Restrukturierungsrecht“. Das sind alles in erster Linie Print-Produkte, auch wenn sie selbstverständlich online verfügbar sind. Als WoltersKluwer auf mich zu kam und mich bat, eine junge und dynamische Mannschaft für ein modernes Online-Produkt zusammenzustellen, habe ich ganz spontan zugesagt. Für mich ist es interessant zu sehen, wie gerade junge Insolvenzrechtler an eine juristische Fragestellung herangehen und was sie von einem Produkt erwarten.

Welche Vorteile bietet das „Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht“ Ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen Informationsquellen?

In erster Linie sind dies die projektbezogene Herangehensweise, die schnelle Verfügbarkeit an jedem Ort und zu jeder Zeit und die konsequente Praxisorientierung.

Welche konkreten Themenfelder werden in dem „Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht“ behandelt und welche Herausforderungen werden dabei besonders berücksichtigt?

Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel nennen. Nehmen wir das Thema Eigenantragstellung in der Regelinsolvenz. Das ist nicht nur ein Thema für Insolvenzrichter, sondern auch für Insolvenzverwalter, weil sie ein Gespür dafür haben sollten, ob ein Insolvenzantrag zulässig ist oder nicht. Da denken viele: Kann ich. Gleichwohl weiß ich als Insolvenzrichter, dass sich auch versierte Insolvenzverwalter hier gelegentlich verdribbeln. Der Insolvenzverwalter findet heraus, dass der Geschäftsleiter nie wirksam bestellt war. Hat er als faktischer Geschäftsleiter ein Antragsrecht? Was passiert, wenn der Geschäftsleiter nach Antragstellung abberufen wird, was, wenn Streit darüber besteht, ob er vor oder nach der Antragstellung abberufen worden ist? Ist der Antrag dann zulässig oder nicht? Das alles findet man auf einem Blick im Praxiswissen Insolvenzrecht. Und noch ein recht neues Thema: Darf der den Schuldner vertretende Rechtsanwalt eigentlich den ganzen Eigenantrag per beA einreichen oder muss die Erklärung des Schuldners, das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis sei richtig und vollständig (§ 13 Abs.1 S.7 InsO) zusätzlich in Papierform eingereicht werden? Auch für diese Frage empfehle ich den Blick ins Praxiswissen Insolvenzrecht.

Welche Zielgruppen spricht das „Praxiswissen Insolvenz - und Restrukturierungsrecht“ an?

Das Praxiswissen Insolvenzrecht ist für jeden geeignet, der mit dem Insolvenz- und Restrukturierungsrecht zu tun hat. Dies gilt m.E. auch für versierte Insolvenzrechtler. Bei dem ein oder anderen werden wir mit Sicherheit für Erstaunen sorgen, was man im Praxiswissen Insolvenzrecht so alles ganz schnell finden kann. Ich selbst war an einigen Stellen positiv überrascht, was die Autoren und Autorinnen zusammengetragen haben. Es ist sicherlich auch gut geeignet für diejenigen, die noch nicht so lange im Insolvenzrecht dabei sind. Sie bekommen einen schnellen Überblick über die Materie, ohne dass sie lange in Kommentaren, Handbüchern oder Zeitschriften blättern müssen und hierbei Gefahr laufen, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen.

Wie kann das „Praxiswissen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht“ konkret dazu beitragen, die eigene Arbeit effektiver zu gestalten?

Ich kann im Rahmen einer Fragestellung bzw. eines zu lösenden Problems zunächst das Praxiswissen Insolvenzrecht heranziehen und mich von da weiter über den „Hamburger Kommentar“ und die Rechtsprechung dem Problem weiter annähern. Auf dem Weg dahin habe ich mir so einen Überblick über das Umfeld des Problems verschafft. Das hilft mir, das Problem wertungssicher einzuordnen. Genauso gut kann ich etwa mit dem „Hamburger Kommentar“ einsteigen, der ja für viele als Kommentar des ersten Zugriffs gilt. Wenn ich dort fündig geworden bin, aber nicht ganz sicher bin, ob das Problem, das möglicherweise nicht nur eine einzelne Norm betrifft, schon in seiner ganzen Bandbreite gelöst ist, kann ich im Praxiswissen Insolvenzrecht nachschauen. Auch so kann ich zum Ziel kommen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Insolvenzrechts und welche Entwicklungen und “Trends” zeichnen sich in diesem Bereich ab?

Es gibt klare Trends. Gerade in den letzten Monaten steigen die Zahlen im Bereich der Unternehmensinsolvenzen wieder spürbar an. Großverfahren und größere Verfahren werden allerdings kaum noch ohne Gläubigermitwirkung vergeben und konzentrieren sich auf vergleichsweise wenige Kanzleien. Die Vergütung in Großverfahren ist sehr hoch, weil die Insolvenzgerichte hier meistens recht großzügige Zuschläge gewähren. Die Kanzleien, die kaum einmal ein Großverfahren bekommen, kommen m.E. bei der Festsetzung der Vergütung oft zu schlecht weg. Das, was der BGH unter Mischkalkulation oder Querfinanzierung versteht, funktioniert nicht mehr richtig.

Zahlt das Praxiswissen auf diese “Trends” ein und wenn ja, wie genau?

Das Praxiswissen ist kein Forum für Rechtspolitik, sondern für solides insolvenz- und restrukturierungssrechtliches Handwerk. Gleichwohl werden aber gewisse Entwicklungen aufgegriffen, wenn sie Relevanz für eine Fragestellung haben. Die obige Vergütungsthematik ist ein gutes Beispiel dafür. Dadurch, dass das Praxiswissen regelmäßig aktualisiert wird, und zwar namentlich dann, wenn etwas wirklich Einschneidendes passiert, können Entwicklungen zudem schnell aufgegriffen werden. Allerdings muss man sich vor einer Überbeschleunigung hüten. Wir sind ja keine Tageszeitung und auch kein Internet-Blog, der einfach schnell losfeuert. Würde aber beispielsweise der BGH seine sog. Neuorientierung zu § 133 InsO wieder aufgeben, könnte das in wenigen Tagen eingearbeitet werden, sicherlich zur Freude der Insolvenzverwalter.

Welchen Rat würden Sie jungen Jurist:innen geben, die sich auf das Thema Insolvenzrecht spezialisieren möchten?

Sie sollten, wenn sie Interesse am Insolvenzrecht haben, schon während des Studiums oder während des Referendariats beim Insolvenzverwalter anklopfen. Die Tätigkeit ist anders als die reine Rechtsanwaltstätigkeit und muss einem liegen. Sie erfordert heute einen Typ, den ich wie folgt beschreiben würde: juristisch und wirtschaftlich kompetent, arbeitswillig, teamfähig, kommunikativ, eloquent. Er muss zudem mehrere Rollen beherrschen: Insolvenzverwalter, Sachwalter, Eigenverwalter, Restrukturierungsbeauftragter. In der Privatinsolvenz ist manchmal sicherlich sogar ein gutes Stück Sozialarbeit erforderlich. Das war früher nicht so. Als ich beim Insolvenzgericht anfing, waren die meisten Insolvenzverwalter, die ihre Prägung zu KO-Zeiten erfahren haben, kompetent und geschäftstüchtig. Dennoch gab es so manche, die eher einen patriarchalischen Führungsstil an den Tag legten, welcher heutzutage undenkbar wäre bzw. nicht mehr gefragt ist.

Wie können Insolvenzverwalter:innen und Richter:innen im Insolvenzrecht dazu beitragen, dass Insolvenzverfahren möglichst effizient und gerecht ablaufen?

Effiziente Abläufe gibt es immer dann, wenn an allen maßgeblichen Stellen hohe Kompetenz vorhanden ist, beim Berater, im Verwalterbüro und beim Insolvenzgericht. Gerade in der Justiz könnte die Effizienz meines Erachtens gesteigert werden, wenn man noch klarer konzentrieren und spezialisieren würde. Gerechtigkeit? Ein weites Feld. Ist die Restschuldbefreiung gerecht? Ist es gerecht, wenn der an sich redliche Geschäftsleiter gemäß § 15b InsO in Anspruch genommen wird und es an sein Privatvermögen geht? Wie weit sollte die Insolvenzanfechtung reichen? Schwer zu sagen, oder? Und so gibt es viele weitere Fallgestaltungen im Insolvenzrecht, bei denen sich die Frage „der“ Gerechtigkeit stellt. Insolvenzverwalter und Richter können und sollten aber dazu beitragen, dass ein Insolvenzverfahren fair abläuft. Der Insolvenzrichter muss einen Insolvenzverwalter bestellen, der fachlich und charakterlich geeignet ist. Das kann er nur, wenn er mit der Materie vertraut ist und dem Insolvenzverwalter auf Augenhöhe begegnen kann. Der Insolvenzverwalter bekommt einen hohen Vertrauensvorschuss vom Insolvenzgericht. Er darf niemals mit dem Schuldner oder mit den Gläubigern rumtricksen. Die Beteiligten, die teilweise viel Geld verlieren, sollten am Ende sagen können, dass das alles korrekt war.

Dr. Andreas Schmidt, Richter am Amtsgericht Hamburg (Insolvenzgericht)


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