Ass. iur. Thomas Reck, Bremen
Recht & Verwaltung04 April, 2023
BGH: Voraussetzungen der Unpfändbarkeit eines PKW bei psychischer Erkrankung des Schuldners
Pfändung eines PKW trotz Nutzung für Fahrten zur Therapie?
In dem Beschluss vom 10.08.2022 (Az. VII ZB 5/22) befasst der BGH sich mit der Pfändbarkeit des PKW eines Schuldners, der unter anderem an Schizophrenie erkrankt ist und nach seinem Vortrag auf den Wagen angewiesen ist, um seine Therapeutin aufzusuchen. Nachdem Amts- und Landgericht die Pfändbarkeit des PKW bejaht hatten, hob der BGH die Beschwerdeentscheidung auf und verwies das Verfahren zurück. Psychische Erkrankungen des Schuldners dürften im Kontext der Zwangsvollstreckung vor allem bei Räumungsschutzanträgen nach § 765a ZPO eine Rolle spielen. Die Entscheidung des BGH zeigt, dass diese Thematik auch in anderen Bereichen auftreten und zu komplexen Fragestellungen führen kann.Eine Absage erteilt der BGH dem Vorbringen des Schuldners, dass sich die Unpfändbarkeit des PKW daraus ergebe, dass dieser zu einem großen Teil mit einer zuvor an ihn erfolgten Auszahlung aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ bezahlt worden sei. Eine Unpfändbarkeit der Leistungen aus dem Fonds wurde zwar von der Bundesregierung als Rechtsauffassung vertreten, war aber nicht gesetzlich geregelt (Abschlussbericht der Lenkungsausschüsse der Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ und „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“, S. 59).
Neufassung des § 811 ZPO: Hilfsmittel für psychische Erkrankung können unpfändbar sein
Nach § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. waren nur bestimmte Gegenstände vor der Pfändung geschützt, die als Hilfsmittel bei einer körperlichen Erkrankung Verwendung fanden. Durch die im Gerichtsvollzieherschutzgesetz vom 07.05.2021 (BGBl. I, 850) enthaltene Neufassung des § 811 ZPO zum 01.10.2022 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass auch ein in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung benötigter Gegenstand unpfändbar sein kann. Es kommt nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO n.F. nur noch darauf an, dass es sich um eine Sache handelt, die aus gesundheitlichen Gründen benötigt wird. In der Begründung zum Gesetzesentwurf erfolgt dazu als Beispiel der Verweis auf eine zur Durchführung einer Kunsttherapie notwendige Staffelei.
BGH stellt Voraussetzungen für die Unpfändbarkeit wegen psychischer Erkrankung klar
Der BGH teilt die Beantwortung der Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Sache aus gesundheitlichen Gründen unpfändbar ist, in zwei Bereiche auf.Zunächst stellt der BGH klar, dass es sich bei dem in Rede stehenden Gegenstand unmittelbar um das Hilfsmittel handeln muss. Auch wenn die in der Vorgängerregelung enthaltene Beschränkung auf bestimmte ausdrücklich benannte Gegenstände aufgegeben worden sei, müsse weiterhin ein direkter Zusammenhang zwischen der Verwendung der Sache und der Auswirkung auf die gesundheitliche Beeinträchtigung gegeben sein. Für den PKW verneint der BGH dies und stellt den Vergleich an, dass anderenfalls auch Gegenstände, die zur Finanzierung der Anschaffung eines PKW verkauft werden sollen, und zu diesem Zweck angespartes Geld als unpfändbar gelten müssten.
In einem zweiten Schritt geht der BGH dann darauf ein, dass die Unpfändbarkeit sich auch daraus ergeben kann, dass der PKW zur Teilhabe am öffentlichen Leben, mithin auch zu Fahrten zwecks Arztbesuchen, erforderlich ist. Diese Auffassung wurde bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. vertreten (BGH, Beschluss vom 16.06.2011 - VII ZB 12/09; BGH, Beschluss vom 19.03.2004 - IXa ZB 321/03), war aber wegen des früheren engeren Anwendungsbereichs bis zum Inkrafttreten der Änderung durch das Gerichtsvollzieherschutzgesetz nicht auf psychische Erkrankungen anwendbar.
Für das weitere Verfahren nennt der BGH als zu prüfende Punkte die Zumutbarkeit der Benutzung des ÖPNV für den Schuldner, die Bedeutung des PKW als Mittel zur Teilhabe (damit auch den Fahrten zu seiner Ärztin) und seine Fahrtauglichkeit. In den Tatsacheninstanzen hatte der Schuldner offenbar vorgetragen, dass er den ÖPNV nicht nutzen könne, da er sich durch Dritte bedroht fühle und darauf anlasslos aggressiv reagiere. Ob unter diesen Umständen eine Fahrtauglichkeit angenommen werden kann, darf bezweifelt werden. Zum Bumerang kann auch das vom BGH referierte weitere Vorbringen des Schuldners werden, dass er sich die Fahrtkosten für den ÖPNV nicht leisten könne, deren Höhe allerdings nicht ausgeführt wird. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass ohne Nutzung des PKW zumindest die bisherigen Ausgaben für Kfz-Steuer, Haftpflichtversicherung und Kraftstoff zum Erwerb von ÖPNV-Tickets verfügbar sind.
Wenn sich dabei die Unpfändbarkeit des PKW ergibt, kommt auch keine Austauschpfändung in Betracht. Diese ist nach § 811a Abs. 1 S. 1 ZPO bei einer aus gesundheitlichen Gründen unpfändbaren Sache nicht möglich. Umgekehrt dürfte bei Pfändbarkeit des PKW ein Antrag nach § 765a ZPO nicht erfolgversprechend sein, da die Bedeutung des PKW als Mittel zur Teilhabe bereits in der Prüfung des Vorliegens gesundheitlicher Gründe enthalten ist.
Potenzielle Auswirkung des 49-Euro-Tickets auf Fragen der Pfändbarkeit
Ein wahrscheinlich nicht so geplanter Nebeneffekt des 49-Euro-Tickets wird für Vollstreckungsfälle mit der Pfändung eines PKW darin liegen, ob es unter Berücksichtigung des ÖPNV-Angebots auf für den Schuldner relevanten Routen zumutbar ist, ihn hierauf zu verweisen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Fahrten im Zusammenhang mit Arbeit oder Ausbildung (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) ZPO) oder – unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit des PKW zur Teilhabe – Fahrten mit einem Zusammenhang zu gesundheitlichen Gründen. Wenn die jährlichen Kosten des Schuldners für die PKW-Nutzung höher sind als der jährliche Preis für das 49-EUR-Ticket von 588,00 EUR oder 411,60 EUR bei Bezuschussung durch den Arbeitgeber, spricht das bei angemessenem ÖPNV-Zugang für die Verwertbarkeit des PKW.
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