Feststellung der Dienstfähigkeit
Recht & Verwaltung10 Mai, 2023

OVG NRW: vorzeitiger Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ohne vorherige Untersuchung?

Redaktion eGovPraxis Personal

Vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen „Dienstunfähigkeit“ bei Verweigerung der Schweigepflichtentbindung und der Begutachtung durch Amtsarzt?

Der Kläger wendet sich gegen seine (vorzeitige) Versetzung in den Ruhestand. Er war zuletzt im Amt eines Oberregierungsrats als juristischer Referent im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) beschäftigt. Seit dem 25.06.2012 verrichtet er krankheitsbedingt keinen Dienst.

Nachdem mit dem Kläger ein Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement geführt worden war, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom Februar 2013, sie beabsichtige, eine ärztliche Untersuchung des Klägers anzuordnen, um seine Dienstfähigkeit zu überprüfen.

Am 26.08.2013 beauftragte die Beklagte den Sozialmedizinischen Dienst der Deutsche Rentenversicherung - Knappschaft Bahn See (DRV KBS), die Dienstfähigkeit des Klägers ärztlich zu begutachten, und bat darum, einen Untersuchungstermin mitzuteilen, zu dem sie den Kläger einladen werde.

Mit Schreiben vom Juni 2015 unterrichtete die Beklagte den Kläger von ihrer Absicht, ihn wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen. Er verweigere seit August 2013 die Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung, entziehe sich der Aufforderung, sich der Begutachtung durch einen Amtsarzt zu stellen, und verhindere somit die Klärung seines Gesundheitszustandes.

Der Kläger ist mit Bescheid des BSI vom 27.08.2015 in den Ruhestand versetzt worden.

Der Kläger hat hiergegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, die Voraussetzungen für die Annahme seiner Dienstunfähigkeit lägen nicht vor. Das hierzu erforderliche ärztliche Gutachten sei nicht eingeholt worden.

Das VG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

OVG NRW entscheidet: Einstufung als „vermutet“ dienstunfähig zulässig bei bewusster Verhinderung der Aufklärung des Gesundheitszustands trotz rechtmäßiger Weisung

Das OVG hat mit dem vorliegenden Urteil zu den Anforderungen an Untersuchungsanordnungen zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten Stellung genommen.

Die Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand habe ihre Rechtsgrundlage in § 44 Abs. 1 S. 2 des Bundesbeamtengesetzes in der maßgeblichen Fassung vom 06.03.2015 (BBG).

Als dienstunfähig könne nach dieser Vorschrift auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan habe, wenn keine Aussicht bestehe, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt sei.

Um die erforderliche ärztliche Begutachtung zu ermöglichen, sehe § 44 Abs. 6 BBG - in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise - bei Zweifeln des Dienstherrn über die (dauernde) Dienstfähigkeit eine Verpflichtung des Beamten vor, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls dies aus amtsärztlicher Sicht für erforderlich gehalten werde, auch beobachten zu lassen.

Wenn die Ursache der Fehlzeiten dem Dienstherrn nicht bekannt sei, werde es jedoch zunächst regelmäßig mit vorbereitenden Aufklärungsmaßnahmen sein Bewenden haben müssen. Entsprechende Weisungen des Dienstherrn im Vorfeld einer Untersuchungsanordnung unterfielen nicht § 44 Abs. 6 BBG.

Die Berechtigung des Dienstherrn zu vorbereitenden Aufklärungsmaßnahmen, der die Verpflichtung des Beamten entspreche, insoweit mitzuwirken, ergebe sich unmittelbar aus dem Beamtenverhältnis.

Sowohl Weisungen im Vorfeld von Untersuchungsanordnungen nach § 44 Abs. 6 BBG als auch diese Anordnungen selbst müssten als gemischte dienstlich-persönliche Weisungen wegen der mit ihnen verbundenen Eingriffe in die grundrechtsbewehrte persönliche Sphäre des Beamten jeweils den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen und aus sich heraus klar, eindeutig und unmissverständlich sein.

Der Beamte müsse diesen Maßnahmen daher nur dann nachkommen, wenn für sie ein hinreichender Anlass bestehe und sie in ihrem Umfang nicht über das Maß hinausgingen, das für die Feststellung der Dienstfähigkeit erforderlich sei. Die Anforderungen dürften jedoch nicht so hoch sein, dass der Dienstherr sie praktisch nicht mehr erfüllen könne.

Untersuchungsanordnungen müssten,

  • erstens, tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe liegend erscheinen lassen bzw. hinreichende Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten wecken. Der Dienstherr habe diese tatsächlichen Umstände in der Anordnung anzugeben, damit der Beamte die Auffassung des Dienstherrn nachvollziehen und die Tragfähigkeit der Gründe prüfen könne.

  • Zweitens müsse der Dienstherr dem Arzt Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung näher eingrenzend vorgeben. Dies erfordere entsprechende, dem Beamten eine Rechtmäßigkeitsprüfung ermöglichende Angaben in der Untersuchungsanordnung.

Dies gelte für Untersuchungsanordnungen sowohl in Fällen des § 44 Abs. 1 S. 1 BBG als auch in Fällen der sog. "vermuteten" Dienstunfähigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 S. 2 BBG.

Es sei allerdings grundsätzlich unverhältnismäßig, Beamte über die Art und Weise eines Eingriffs in ihre grundrechtsbewehrte Sphäre im Dunkeln zu lassen und die Gestaltung dieses Eingriffs dem Amtsarzt zu überlassen. Die Anforderungen an den untersuchungsbezogenen Inhalt einer Untersuchungsanordnung richteten sich nicht nach deren Anlass, dem Erkenntnisstand des Dienstherrn oder der (fehlenden) Mitwirkungsbereitschaft des betroffenen Beamten, sondern nur nach der grundrechtlichen Eingriffsqualität der Untersuchung als solcher.

Verhindere der Beamte trotz rechtmäßiger Weisung des Dienstherrn bewusst die Aufklärung seines Gesundheitszustandes und fehle es deshalb (auch) an jeglichen verwertbaren Anhaltspunkten, ob und inwieweit ein Restleistungsvermögen gegeben sei, so kann in Anwendung des Rechtsgedankens des § 444 ZPO zum Nachteil des Beamten geschlossen werden, dass ein solches nicht (mehr) besteht.

Im konkreten Fall sei der Kläger nach diesen Maßstäben in den Ruhestand zu versetzen gewesen. Der Kläger sei gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 BBG als dienstunfähig anzusehen (sog. "vermutete" Dienstunfähigkeit).

Die Beklagte habe hier in Anwendung des Rechtsgedankens des § 444 ZPO ohne vorherige Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens zum Nachteil des Klägers davon ausgehen dürfen, dass dessen Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten nicht wieder voll hergestellt sein würde.

Denn der Kläger sei der rechtmäßigen Weisung der Beklagten, die untersuchenden Ärzte des Sozialmedizinischen Dienstes der DRV KBS von der Schweigepflicht zu entbinden, ohne Rechtsgrund nicht nachgekommen.

Praktische Bedeutung des Urteils des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.11.2022 – 1 A 1314/19 –

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat in diesem Urteil die Anforderungen an ärztliche Begutachtungen zur Feststellung der Dienstfähigkeit geklärt.

Nach Auffassung des OVG muss hierbei auch die Weisung des Dienstherrn an den Beamten, den (Amts)Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden und sich mit der Beiziehung früherer ärztlicher Begutachtungen bzw. früherer ärztlicher Befunde durch diesen einverstanden zu erklären, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies setzt voraus, dass die - in der Erklärung möglichst konkret zu benennenden - früheren Erkenntnisse nach (amts)ärztlicher Auffassung für die Begutachtung zwingend erforderlich sind. Kennen der Dienstherr und der Amtsarzt den Grund für die Fehlzeiten des Beamten nicht, sind für die Begutachtung allerdings solche früheren Erkenntnisse aus Sicht des OVG immer zwingend erforderlich, weil sie es dem Amtsarzt überhaupt erst ermöglichen, Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung näher einzugrenzen.
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