Vorabentscheidung des EuGH: Vereinbarkeit von § 7 Abs. 3 BurlG mit den §§ 194 ff. BGB
Recht & Verwaltung09 November, 2022

Vorabentscheidung des EuGH: Vereinbarkeit von § 7 Abs. 3 BurlG mit den §§ 194 ff. BGB

von Torsten Herbert, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbands NRW

EuGH entscheidet, dass der Urlaubsanspruch nur dann verjährt bzw. verfällt, wenn der Arbeitgeber hierauf zuvor hingewiesen und den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen – dies auch bei im Urlaubsjahr teilweise bestehender Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsminderung des Arbeitnehmers

Sachverhalt

Die Klägerin der Rechtssache C-120/21 macht nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einen Urlaubsabgeltungsanspruch für länger zurückliegende Zeiten geltend, in denen sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht habe nehmen können.

Nachdem die Vorinstanzen unterschiedlich geurteilt hatten, ist das BAG der Ansicht gewesen, nach § 7 Abs. 3 BUrlG seien die Ansprüche an sich nicht erloschen, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt habe, den bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen. Da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu auffordern müsse, seinen Urlaub zu nehmen, und ihn über das mögliche Erlöschen seines Anspruchs informieren müsse, sei dem Abgeltungsbegehren grundsätzlich stattzugeben.

Allerdings sei die Einrede der Verjährung nach § 194 BGB erhoben worden. Nach § 195 und § 199 BGB verjähren die Ansprüche eines Gläubigers drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem sein Anspruch entstanden ist. Damit wäre der geltend gemachte Anspruch hier grundsätzlich verjährt.

Wäre diese allgemeine Verjährungsregel anzuwenden, hätte dies aus Sicht des BAG allerdings zur Folge, dass der Arbeitgeber, der insofern seinen Pflichten nicht nachgekommen sei, als er den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt habe, seinen bezahlten Urlaub tatsächlich zu nehmen, sich seiner Pflichten entzöge und dass er von dieser Situation finanziell profitieren würde.

Da dies zum einen ein Verhalten billige, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führe, und zum anderen dem Ziel des Schutzes der Gesundheit des Arbeitnehmers zuwiderlaufe, hat das BAG an der Vereinbarkeit der in den §§ 194 ff. BGB vorgesehenen Verjährungsregel mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Anspruch gezweifelt und daher das Verfahren ausgesetzt.

Die Frage nach der Vereinbarkeit der Normen wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der EuGH betont im vorliegenden Urteil, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nur unter „besonderen Umständen“ eingeschränkt werden dürfe. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben, beruft, um daraus einen Vorteil zu ziehen, indem er die Anspruchsverjährung geltend macht.

Ließe man zu, dass sich der Arbeitgeber auf die Verjährung der Ansprüche des Arbeitnehmers berufen kann, ohne ihn tatsächlich in die Lage versetzt zu haben, diese Ansprüche wahrzunehmen, würde man im Ergebnis ein Verhalten billigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem eigentlichen von Art. 31 Abs. 2 der Charta verfolgten Zweck, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderläuft – so der EuGH.

Ob sich der Arbeitgeber selbst in eine Situation gebracht habe, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert wird und aus der er zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte, werde das BAG im Ausgangsverfahren zu prüfen haben.

In den Rechtssachen C-518/20 und C-727/70, in denen es um den Anspruch auf bezahlten Urlaub für das Jahr geht, in dem die Kläger aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert beziehungsweise arbeitsunfähig geworden waren, betont der EuGH, dass Urlaub im Einklang mit dem Unionsrecht bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit zwar 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen dürfe. Bei einem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im laufenden Urlaubsjahr komme ein Verfall für den Urlaubsanspruch dieses Jahres aber nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor über den Urlaubsanspruch hinreichend unterrichtet habe.

Die zeitliche Begrenzung von 15 Monaten hindere zwar den Arbeitnehmer daran, den Erhalt sämtlicher Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die er während seiner längeren Abwesenheit vom Arbeitsplatz in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen erworben hat, einzufordern. Doch könne eine solche Beschränkung nicht auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub angewandt werden, der im Laufe eines Bezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig wurde, ohne dass geprüft wurde, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch geltend zu machen. Denn eine solche Situation liefe darauf hinaus, den Anspruch, der in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankert und in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist, inhaltlich auszuhöhlen.

Praktische Bedeutung

Der EuGH fordert in allen Fällen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer positive Kenntnis über die Rechtslage verschaffen und den Arbeitnehmer zur Urlaubnahme auffordern muss, um die Verjährung bzw. den Verfall von Urlaubsansprüchen in Gang zu setzen.

Es bleibt abzuwarten, wie das BAG unter Berücksichtigung der Vorlageentscheidungen des EuGH in den rechtshängigen Sachen entscheidet und wie es insbesondere die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast vornimmt.

Insbesondere in den Fällen, in denen Arbeitnehmer erst im Laufe eines Kalenderjahres (und dann durchgehend) arbeitsunfähig bzw. erwerbsgemindert werden, stellt sich zudem die praktische Frage der inhaltlichen Anforderungen an die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers und deren Handhabung. Soll der Arbeitgeber gewissermaßen auf Verdacht vorsorglich bereits das ganze Jahr hinweg regelmäßige Hinweise zu den jeweils bestehenden Urlaubsansprüchen und Aufforderungen erteilen – weil dies mit Eintritt der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung nicht mehr dazu führen könnte, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wäre, den Urlaub zu nehmen (denn dieser setzt Arbeitsfähigkeit voraus)?

Die Entwicklungen im deutschen Urlaubsrecht bleiben spannend.

Bildnachweis: David/stock.adobe.com
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