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Recht & Verwaltung19 Oktober, 2022

Dieselskandal: Haftung des Herstellers und Anforderungen an eine sekundäre Darlegungslast

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online

In Diesel-Fällen setzt eine sekundäre Darlegungslast des Fahrzeugherstellers zu Vorgängen innerhalb seines Unternehmens, die auf eine Kenntnis seiner verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das unstreitige oder nachgewiesene Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.
 
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 10.08.2012 von der B. GmbH in K. als Neufahrzeug einen Audi A 4 allroad 2.0 TDI quattro zum Preis von 45.045,45 Euro. 
Das Fahrzeug, dessen Herstellerin die Beklagte ist, ist mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und soll nach Herstellerangaben die Abgasnorm Euro 5 erfüllen. Es verfügt über eine von der Volkswagen AG entwickelte Motorsteuerungssoftware. Diese sah hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor, und zwar einen hinsichtlich des Stickstoffausstoßes optimierten Betriebsmodus 1 mit einer verhältnismäßig hohen Abgasrückführungsrate sowie einen Betriebsmodus 0 mit einer erheblich geringeren Abgasrückführungsrate. Die Motorsteuerungssoftware konnte erkennen, ob das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte (NEFZ-Prüfzyklus) eingesetzt oder im Straßenverkehr betrieben wurde und schaltete im NEFZ-Prüfzyklus in den Modus 1. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass bei der Prüfung nach den Maßgaben der Euro 5-Abgasnorm geringere Stickoxidemissionen gemessen und dementsprechend die Stickoxidgrenzwerte im Laborbetrieb eingehalten wurden. Dagegen schaltete die Motorsteuerungssoftware in den Modus 0, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wurde. Diese Funktionsweise wurde im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens vor dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht offengelegt.
 
Am 22.09.2015 räumte die Volkswagen AG im Rahmen einer aktienrechtlichen Ad-hoc-Mitteilung erstmals die Verwendung der Motorsteuerungssoftware ein. Das KBA gab der Volkswagen AG daraufhin auf, die Abschalteinrichtung in den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. In der Folgezeit wurden Software-Updates für eine Vielzahl verschiedener Fahrzeug- und Motortypen freigegeben. Die Klägerin wurde im Februar 2016 von der Beklagten darüber informiert, dass auch ihr Fahrzeug mit einer Software der oben beschriebenen Art ausgestattet sei und überarbeitet werden müsse. Sie ließ das Software-Update installieren.
 
Die Klägerin hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie Delikts- und Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

Das Landgericht Aachen hat der Klage stattgegeben. 
Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 21.742,54 Euro nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 Euro freizustellen. 
Mit der Revision begehrt die Beklagte, die Klage insgesamt abzuweisen.


Begründung

Mit dem vorliegenden Urteil vom 04.08.2022 - III ZR 230/20 - hat der BGH zur sekundären Darlegungslast des Fahrzeugherstellers in Diesel-Fällen Stellung genommen.

Der BGH hat entschieden, dass die Revision Erfolg hat und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt.

Nach Auffassung des BGH kann mit der Begründung des Berufungsgerichts ein Anspruch der klagenden Fahrzeugkäuferin gegen den beklagten Fahrzeughersteller wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB nicht angenommen werden.

Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Es steht nicht fest, dass dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten R. S. bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin bekannt war, dass der von der Volkswagen AG hergestellte und von der Beklagten in das Fahrzeug der Klägerin eingebaute Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war. Dies gilt auch bezüglich des ehemaligen Leiters der Abteilung für die Entwicklung von Dieselmotoren der Beklagten U. W.

Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. 
Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen.
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht. Ein sittenwidriges Vorgehen kommt dabei auch dann in Betracht, wenn die für den beklagten Fahrzeughersteller handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die vom Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten.

Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht ein solches Vorstellungsbild im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

Dies gilt hinsichtlich der Kenntnis des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten R. S. Das Berufungsgericht hat der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast auferlegt, obwohl deren Voraussetzungen nicht als gegeben angesehen werden können.

Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das unstreitige oder nachgewiesene Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen.

Daran fehlt es hier. Insbesondere ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, U. W. habe in einem Prozess vor dem Arbeitsgericht Heilbronn angegeben, "dass seit mindestens 2012 Kenntnis bei Herrn R. S. bestanden habe", kein solcher Anhaltspunkt.

Die Beklagte hat dargelegt, dass die Entwicklung des Motors vom Typ EA 189 allein von der Volkswagen AG verantwortet worden und durch deren Mitarbeiter am Standort Wolfsburg erfolgt sei, ohne dass Mitarbeiter der Beklagten daran beteiligt gewesen seien.

Diese Erwägungen gelten auch bezüglich der vom Berufungsgericht angenommenen "Kenntnis" des U. W. Mit der im Berufungsurteil gegebenen Begründung kann weder davon ausgegangen werden, dass dieser schon zum Erwerbszeitpunkt am 10.08.2012 Kenntnis von einer Abschalteinrichtung hatte, noch dass sich diese auf die Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 erstreckte.


Praktische Bedeutung

Mit dem vorliegenden Urteil hat der BGH seine Rechtsprechung zur Haftung von Fahrzeugherstellern in Diesel-Fällen fortgesetzt und ist hierbei insbesondere auf die Anforderungen an eine sekundäre Darlegungslast des Herstellers näher eingegangen.

Der BGH hat bereits früher entschieden, dass ein Automobilhersteller gegenüber einem Fahrzeugkäufer sittenwidrig handelt, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht nach Auffassung des BGH einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19; BGH, Urteil vom 08.05.2021 - VI ZR 505/19; BGH, Urteil vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20).
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