PEM Kita
Recht & Verwaltung18 Dezember, 2023

Nachweis eines Kita- oder Tagespflegeplatzes trotz fehlender Kapazitäten

Joachim Schwede: Rechtsanwalt in Aichach

Das Verwaltungsgericht Münster hat der Stadt Münster im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, einem unter 3-jährigen Kind ab dem 01.08.2023 einen Betreuungsplatz zur frühkindlichen Förderung mit dem Umfang von 45 Stunden wöchentlich in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle zur Verfügung zu stellen, der in nicht mehr als 30 Minuten von der Wohnung des Kindes erreichbar ist.

Der Fall

Die Eltern des am Stadtrand Münsters wohnenden Kindes hatten im Mai 2022 den Betreuungsbedarf zum 01.08.2023 über den sogenannten Kita-Navigator der Antragsgegnerin angemeldet. Das Kind war jedoch weder bei der im Februar 2023 stattgefundenen Platzvergabe noch im Rahmen des wegen technischer Probleme im März 2023 wiederholten Vergabeverfahrens berücksichtigt worden. Dem daraufhin Ende April gestellten Eilantrag hat das Gericht nunmehr im Wesentlichen stattgegeben.

VG: Kapazitätsmängel sind unbeachtlich

Der Antrag hat in der Sache Erfolg. 1 Das Kind habe gegenüber der Antragsgegnerin, dem Jugendamt, einen einklagbaren Anspruch auf Förderung in einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege.

Dem stehe nicht entgegen, dass nach den Angaben der Antragsgegnerin eine Vielzahl der Kindertageseinrichtungen in Münster aufgrund der angespannten Personalsituation momentan keine zusätzlichen Plätze anbieten könne. Der Anspruch auf frühkindliche Förderung sei nicht auf den vorhandenen Vorrat an Plätzen begrenzt, sondern letztlich auch auf die Erweiterung der vorhandenen Kapazitäten gerichtet, bis ein dem Bedarf in qualitativer und quantitativer Hinsicht gerecht werdendes Angebot bestehe. Es handele sich um eine unbedingte Bereitstellungs- bzw. Gewährleistungspflicht, der der Jugendhilfeträger nicht mit dem Einwand der Unmöglichkeit begegnen könne. Zwar seien die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Kinderbetreuungsplätzen nicht zu verkennen.

Der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorbehaltlos gewährleistete Rechtsanspruch drohte aber leer zu laufen, wenn sich die Träger der Jugendhilfe auf eine fehlende Erfüllbarkeit wegen Kapazitätsauslastung berufen könnten. Für den Anspruch sei es auch unerheblich, ob die zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verteilungsverfahrens vergeben worden seien. Denn das jeweilige Kind konkurriere nicht mit Gleichaltrigen um die wenigen Betreuungsplätze, sondern habe wie die Gleichaltrigen auch einen unbedingten Anspruch auf Gewährleistung der Förderung.

Ein Anordnungsanspruch sei jedoch zu verneinen, soweit der Antrag auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes allein in einer Kita beschränkt sei. Da die frühkindliche Förderung in einer Kita und die Förderung in Kindertagespflege in einem gesetzlichen Gleichrangigkeitsverhältnis stünden, könne der Träger der Jugendhilfe seine Verpflichtung zur Förderung von unter 3-jährigen Kindern gleichermaßen mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in einer Kita und mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in der Kindertagespflege erfüllen.

Kein Anspruch auf optimale Betreuungszeiten

Ein Anordnungsanspruch sei auch nicht glaubhaft gemacht worden, soweit hier über einen Betreuungsumfang von 45 Stunden wöchentlich hinaus eine nach bestimmten Uhrzeiten bemessene Betreuung erstrebt werde. Der Anspruch auf frühkindliche Förderung sei nicht auf Schaffung von in jeder Hinsicht optimalen Kinderbetreuungsmöglichkeiten gerichtet. Auch wenn er auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gerichtet sei, zwinge dies nicht dazu, etwaigen Idealvorstellungen der Eltern hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Vielmehr sei der Anspruch bereits durch den Nachweis eines Betreuungsplatzes mit einem dem individuellen Bedarf entsprechenden, nach Wochenstunden bestimmten Betreuungsumfang erfüllt, ohne dass dem Wunsch nach einer nach konkreten Uhrzeiten bestimmten Betreuung Rechnung getragen werden müsse.

Keine Erreichbarkeit in 15 Minuten!

An einem Anordnungsanspruch fehle es schließlich auch, soweit die Verpflichtung zum Nachweis eines Betreuungsplatzes erstrebt werde, der in nicht mehr als 15 Minuten erreichbar sei. Derartiges könne nicht aus der Entscheidung des VG Münster vom 20.07.2017 (6 L 1177/17)2 hergeleitet werden, wonach für den Innenstadtbereich Münsters davon ausgegangen werden könne, dass hier ein Betreuungsplatz jedenfalls in nicht mehr als 15 Minuten erreicht werden könne. Dabei handele es sich jedoch nicht um eine in jedem Einzelfall zu beachtende Obergrenze, die noch dazu auch außerhalb der Innenstadt Münsters Gültigkeit hätte. Vielmehr könne jedenfalls für das einstweilige Verfahren im Regelfall eine Entfernung von der Wohnung des Kindes von maximal 30 Minuten pro Weg als zumutbar angesehen werden.

Die Eltern lassen übrigens nicht locker!

In zwei weiteren Eilverfahren haben die Eltern ihrem Wunsch auf eine umfassende Betreuung auf anderem Wege versucht, Nachdruck zu verleihen: Mit Beschluss vom 06.07.2023 hat das VG Münster den Eilantrag des – durch seine Eltern vertretenen – Kindes abgelehnt, der Stadt Münster aufzugeben, auf den privaten Träger einer Kindertagesstätte dahingehend einzuwirken, den Antragsteller aufzunehmen. Im hier ausführlich vorgestellten Verfahren hatte das VG dem entsprechenden Eilantrag der Eltern stattgegeben und daraufhin die Stadt Münster für das Kind einen etwa 3 km von der Wohnung entfernten Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte angeboten. Diesen Platz nahmen die Eltern jedoch nicht in Anspruch, sondern beantragten erneut eine einstweilige Anordnung u.a. mit der Begründung, sie hätten zwischenzeitlich einen für sie günstigeren Betreuungsplatz in einer von einem privaten Träger betriebenen Kindertageseinrichtung gefunden. Die Stadt Münster sei nun verpflichtet, auf den Träger daraufhin einzuwirken, dass ihr Kind in dieser Kindertagesstätte betreut werde. Diesen Antrag lehnte das Gericht ab. In den Gründen des Beschlusses heißt es u.a., die Antragsgegnerin habe als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe keine rechtliche Handhabe, den privaten Träger einer Kindertageseinrichtung zur Aufnahme eines bestimmten Kindes zu verpflichten, falls dieser nicht freiwillig hierzu bereit sei.

Mit Beschluss vom 30.08.2023 stellte das VG Münster nun noch fest, dass nach der vorbehaltlosen Annahme eines Kita-Platzes nicht sofort ein anderer Platz verlangt werden könne. Nachdem die Eltern scheinbar einen für ihre Lebensplanung noch immer nicht optimalen Kita-Platz gefunden hatten, beantragten sie sofort einen anderen. Das lehnte das VG ab: Durch die zunächst vorbehaltlose Annahme des Betreuungsplatzes sei der Anspruch, dem Kind einen anderen, seinem Betreuungsbedarf besser entsprechenden Platz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege nachzuweisen, jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt nicht realisierbar. Vielmehr müsse sich das betreffende Kind bzw. seine Eltern auf eine gewisse Wartezeit verweisen lassen, weshalb jedenfalls derzeit kein anderer Betreuungsplatz vom Jugendamt verlangt werden könne. Der Artikel ist in der Kita aktuell Recht 3/23 erschienen.

Wichtig für die Kita-Praxis

Die Entscheidung reiht sich nahtlos in eine Vielzahl anderer Entscheidungen ein, mit denen der gesetzliche Anspruch auf Kindertagesbetreuung

bzw. Kita-Plätze gegen jede Realität »durchgedrückt« wird. Vorliegend ist jedoch eine unglaubliche »Penetranz« feststellbar,

mit der immer und wieder versucht wird, einen – für die Eltern – möglichst optimalen Kita-Platz zu erzwingen.

Wohltuend sind jedoch die Einschränkungen, die das Gericht nennt:

  • Die Eltern haben keinen Anspruch auf »Rundum-Versorgung« ihres Kindes zu den Zeiten, die sie sich vorstellen, um ihre Lebensträume zu verwirklichen (das Gericht spricht von »Idealvorstellungen der Eltern hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten«). Überlegt man sich, dass eine 45-stündige Betreuung des Kindes pro
  • Woche im Schnitt eine werktägliche Betreuung von 9 (!) Stunden bedeutet, fragt man sich schon, wie diese Eltern ihr Recht bzw. die daraus folgende Pflicht zur Erziehung verstehen.
  • Und Eltern müssen nach Ansicht des VG eine angemessene Zeit aufbringen, das Kind in die Betreuung zu bringen bzw. abzuholen.
  • Dass Eltern zudem verpflichtet sind, statt eines Kita-Platzes auch einen Platz in der Kindertagespflege zu akzeptieren, ist herrschende Rechtsmeinung.3

Der Artikel ist in der Kita aktuell Recht 3/23 erschienen

Bildnachweis: famveldman/stock.adobe.com

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