Dr. Heinz Hinz | Institute for Future Design, Überlingen
Dr. Heinz Hinz | Institute for Future Design, Überlingen
Während viele Schulkollegien, Schülerinnen und Schüler sowie auch Eltern auf eine baldige Rückkehr zur »Normalität« hoffen, ist vielen Schulleitungsteams längst klar geworden, dass dies die falsche Perspektive ist, weil angesichts der Dynamik der Pandemie und des rasanten gesellschaftlichen Wandels längst neue Lösungen gefragt sind. Sie stellen sich die Frage: Was können wir tun, damit Neues Einzug hält und die sichtbar gewordenen Modernisierungsrückstände überwunden werden können?
Auch bei der schrittweisen Rückkehr zum Normalbetrieb stehen alle Beteiligten vor der Herausforderung, nicht nur Inhalte aufzuholen, sondern auch die Krisenerfahrungen dafür zu nutzen, die Entwicklung einer krisensicheren und zukunftsfähigen Schule gemeinsam voranzutreiben.
Eine vorübergehende Erhöhung der Schulstunden oder durch Kultusministerien geförderte Nachhilfeprogramme werden als eine Möglichkeit propagiert, um die verlorengegangen Inhalte aufzuholen, aber dies läuft auf lineares Denken im Sinne einer »Mehrdesselben-Strategie« hinaus. Zudem stellt sich die Frage, ob die ohnehin über ihre Kräfte hinaus belasteten Lehrkräfte überhaupt mehr Desselben leisten können. Müssen wir nicht eher innovative Ideen entwickeln, wie es uns gemeinsam gelingen kann, eine proaktive, kreative und leistungsstarke Schule zu schaffen, bzw. durch neue Formen der Zusammenarbeit das Schulleben so zu gestalten, dass bessere Ergebnisse, mehr Zufriedenheit mit dem Erreichten, Krisensicherheit und bisweilen sogar Begeisterung durch eine optimierte Schulkultur erfahren wird.
Hier geht es also im Unterschied zu klassischen Schul- und Organisations-entwicklungsmodellen um den Übergang vom linearen zum transformativen Denken und Handeln.
Meines Erachtens scheitern viele Schul- bzw. Organisationsentwicklungsprojekte an einer mechanischen Vorstellung von Veränderungsprozessen und einem ungeeigneten Menschenbild. Viel zu selten machen wir uns klar, was uns wirklich antreibt, welche Werte uns wirklich wichtig sind, wie eine menschenzentrierte Pädagogik sich in Organisationsformaten widerspiegeln kann, die elementaren Bedürfnissen aller Beteiligten Rechnung trägt.
Wenn wir in diesem Sinn neue Lösungen für komplexe Herausforderungen finden wollen, müssen wir uns von festgefügten Vorgehensweisen befreien und uns in ein offenes Experimentierfeld begeben und dabei vorrübergehend auch Unsicherheit ertragen. Viele Schulen haben erkannt, dass es nötig ist, durch Beteiligungsprozesse, die »Weisheit der Vielen«, die kollektive, kreative Intelligenz zu nutzen, um Türen für das Neue zu öffnen.
Nur durch die Bereitschaft, offene, auch irritierende Prozess zu durchlaufen, können wir schrittweise zu innovativen Lösungen gelangen. Diesen Prozess gilt es sorgfältig zu rahmen und zu begleiten.
»Meines Erachtens scheitern viele Schul- bzw. Organisationsentwicklungsprojekte an einer mechanischen Vorstellung von Veränderungsprozessen und einem ungeeigneten Menschenbild.«
Auf Seiten der Führungskräfte und bei den am Schulleben Beteiligten sind Vertrauen in den Prozess und Stehvermögen erforderlich, um nicht vorzeitig die produktive Zone zwischen Chaos und Ordnung zu verlassen, aus der heraus sich überraschende Lösungen herauskristallisieren, wie es der Organisationsexperte Claus Otto Scharmer (2004) in seiner »Theorie U« beschrieben hat. Eine sehr wirkungsvolle Methode bzw. kreatives Vorgehensweise ist das Arbeiten und innovative Gestalten im Kontext einer KreativZone.
Das Verfahren der »KreativZone« (Garz/Hinz) beruht auf der Theorie des Kreativen Feldes (Burow 1999, 2000, 2015), die gezeigt hat, dass überragende schöpferische Leistungen stets Ergebnis des Zusammenwirkens von Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten in gemeinsam gestalteten Handlungsfeldern sind. Das Kreative Feld zeichnet sich durch den Zusammenschluss von Persönlichkeiten mit stark unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten aus, die eine gemeinsam geteilte Vision verbindet (z.B. Unsere Schule 2030): Zwei (oder mehr) unverwechselbare Egos, die sich – trotz ihrer Verschiedenheit – ihres gemeinsamen Grundes bewusst sind, versuchen in einem wechselseitigen Lernprozess ihr kreatives Potential gegenseitig hervorzulocken, zu erweitern und zu entfalten. Die wesentlichen Elemente des kreativen Schaffens, nämlich die begabte und engagierte Persönlichkeit, ein kreativer Schaffensprozess und das Produkt werden durch die Struktur des Feldes in besonderer Weise organisiert. Kreative Felder sind durch eine dialogische Beziehungsstruktur (Dialog), durch ein gemeinsames Interesse (Produktorientierung), durch eine Vielfalt unterschiedlicher Fähigkeitsprofile (Vielfalt und Personenzentrierung), durch eine Konzentration auf die Entfaltung der gemeinsamen Kreativität. Das Neue entsteht also, wenn es gelingt, in einem Beteiligungsprozess die im Kollegium vorhandenen Fähigkeiten, auf das gemeinsame Schulentwicklungsziel hin auszurichten.
»Mit Gestaltungskompetenz wird die Fähigkeit bezeichnet, Wissen über nachhaltige Schulentwicklung anzuwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung zu erkennen.«
Mit Gestaltungskompetenz wird die Fähigkeit bezeichnet, Wissen über nachhaltige Schulentwicklung anzuwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung zu erkennen. Das erfordert, soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu erkennen und darauf basierende Entscheidungen treffen, zu verstehen und umzusetzen. Mit der Gestaltungskompetenz kommen die offene Zukunft, die Variation des Möglichen und aktives Modellieren in den Blick.
Entscheidender Ausgangspunkt für die ersten Aktivitäten, sowohl als einzelne Personen als auch für eine Gruppe bzw. für die Schulentwicklungsgruppe sind folgende konkrete Formulierungen bzw. konkrete Beschreibungen
a) die Identifizierung einer Herausforderung bzw. Anforderung, die als eine authentische Aufgabe in der beruflichen, wie privaten Alltagswelt angenommen wird.
b) ergebnisoffene und ergebnisorientierte Möglichkeitsräume
Das Denken und Arbeiten in einer »KreativZone« setzen auf das Lernen als »creative inquiry«. Hier geht es darum, einen Entfaltungsraum für die Freisetzung der eigenen Kreativität zu schaffen – in unserem Fall bezogen auf den Kontext einer zukunftsorientierten Lehrkräftebildung bzw. Schulentwicklung. Die Annahme ist, dass die wichtigste Wirkungsdimension der Lernenden darin besteht, ihr kreatives Potenzial in der eigenen und gemeinsamen Tätigkeit freizusetzen, beim Lehren und Lernen, aber auch in der Verarbeitung handlungsleitender Theorie.
Es geht um den Prozess der Co-Kreation, sowohl allein als auch beim kooperativen Umgang mit der Welt. Hinter dem Prozess der Co-Kreation steht ein komplexitätstheoretisches, Unsicherheit und Perspektivenpluralismus betonendes Weltbild von kreativer Interaktion und Emergenz des Neuen.
Hilfreich sind Leitfragen zu jedem Schritt.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Teams bzw. Arbeitsgruppen werden durch das Arbeiten im offenen Raum des Kreativen Feldes bzw. in der KreativZone darin unterstützt, entlang der alltäglichen Arbeitssituationen, Störungen, Unterbrechungen, unerwartete Situationen, Ideen sowohl für die eigene kreative Weiterentwicklung wie auch für wirksame Zukunftsgestaltung ihrer Schule zu entwickeln. Dabei durchlaufen und gestalten sie nachfolgende Stationen/Phasen:
Aufgrund eines inspirierenden Impulses aus dem Kollegium, aus einer Fortbildung, aus einer erfolgreichen Erfahrung aus Zeiten von Corona etc. tauschen sich die Gruppen in einem analogen oder auch virtuellen Raum über das Gehörte und Wahrgenommene aus. Daraus entwickeln Sie gemeinsame Themen, um sich dann in einer KreativZone als Arbeitsgruppe weiter mit der Themenstellung auseinanderzusetzen.
»Fangen Sie an, indem Sie Struktur und Tiefenstruktur (Kultur, Klima, Atmosphäre) der Organisation bewusst wahrnehmen.«
Eine Schule braucht eine Kultur, in der möglichst alle Interessierten dabei sind, ihr Potential einbringen können, sich gegenseitig unterstützen, voneinander lernen. Das erfordert geeignete Bedingungen und Kommunikation (»der gute Ton«), die für solche Gestaltungsprozesse Raum und Zeit bieten. Fangen Sie an, indem Sie Struktur und Tiefenstruktur (Kultur, Klima, Atmosphäre) der Organisation bewusst wahrnehmen.
Wenn wir einen Prozess des Gestaltens des gemeinsamen Lernens starten wollen, dann brauchen wir eine klare Definition der zu bewältigenden Herausforderung. Allen muss klar sein, was die authentische Herausforderung ist, die wir mit der Arbeit in der Kreativzone erkunden und bewältigen wollen: Was ist der Grund, dass wir das Bestehende in Frage stellen und ins Unbekannte aufbrechen?
Weitere Fragen können diesen Findungsprozess unterstützen:
Dieser Reflexions- und Suchprozess sollte in eine Arbeitsfrage münden, auf die man klar terminiert und mit Verantwortlichkeiten versehen eine Antwort geben möchte.
Die Arbeitsfrage bringt das Problem auf den Punkt: Woran scheitert eine gute Lösung? Wie könnte eine langfristige, tragfähige, akzeptierte Lösung gefunden und umgesetzt werden? Wie könnte das gelingen? Was würde es dazu brauchen?
Was wäre die einfachste und kraftvollste Frage, die den Kern unserer Herausforderung am besten beschreibt?
Aus der Herausforderung entsteht
»Welchen Sinn- und welche zentralen Werte wollen wir setzen und welche bedeutungsvollen Ziele können wir uns stecken [...].«
Das Schulleitungs- bzw. Arbeitsteam sollten klare und überzeugende Aussagen über den Sinn und Zweck des angezielten Handelns finden, um den Kolleginnen und Kollegen Orientierung für ihr Handeln zu geben. Dabei ist es wichtig drei Dimensionen zu beachten:
Dies erfordert es, durch entsprechendes Schulleitungshandeln dafür zu sorgen, dass die Beteiligten das Gefühl haben,
Die Fragen, mit denen sich die Schulleitungsteam und Arbeitsgruppen beschäftigen sollen, lauten:
Welchen Sinn- und welche zentralen Werte wollen wir setzen und welche bedeutungsvollen Ziele können wir uns stecken, um die jeweilige Herausforderung bestmöglich zu bewältigen?
Weitere Fragen können hier hilfreich sein:
Damit ein freier und tiefer Austausch ermöglicht werden kann, müssen die unterschiedlichen Ansichten der Akteurinnen und Akteure respektiert werden und alle die Verantwortung für das Wohlergehen und die Richtung der Gruppe miteinander teilen. Hier gibt es vier zentrale Hinweise, auf die es während des Arbeitens in der KreativZone gemeinsam zu achten gilt.
Eine positive Kommunikation lädt die Beteiligten zu einer konstruktiven Zusammenarbeit ein. Hinweise für die Gestaltung einer positive Beziehungsgestaltung:
Diese drei o.g. personenzentrierten Haltungen führen zu kooperativen Verhaltensweisen.
Hier geht es um die Frage, wie können wir unsere entwickelten, gestalteten Ergebnisse unsere Umwelt, unseren Nutzergruppen erlebbar und erfahrbar machen. Daran anschließend ergibt sich die Möglichkeit ein Feedback einzuholen, um dann die Ideen weiter nutzerorientiert zu entwickeln.
Die Arbeitshinweise lautet: Wie können wir Ideen, unsere Vorschläge, unsere Vorgehensweisen zum Leben erwecken?
Beschreibe deine Idee/deinen Prototypen/dein Vorhaben in drei Sätzen:
Das hier beschriebene Konzept der KreativZone zielt darauf ab, einen Raum zu kreieren, der den Gedankenaustausch ermöglicht und zum Entstehen des Neuen einer Organisation, eines Teams, einer Gruppe befördert und somit denkbar, erfahrbar und gestaltbar macht. Man könnte auch sagen »Containing« als Funktion der KreativZone stellt einen »mind-thinking-container«, einen »Apparat zum Denken von Neuem« bereit.
Die KreativZone bietet für das in der Organisation im Entstehen begriffene Neue einen Ausdrucks- und Entwicklungsort. Dieser unterstützt die Beteiligten dabei, sich von Routinen zu lösen und aus Denkgefängnissen zu befreien, damit das Neue Raum erhält und sich ausdrücken kann. Die Akteure selbst erleben in der KreativZone eine intensive Wandlung, die als Shift of Mind, Shift of Knowing oder Groth-Mindset beschrieben werden kann.
An der Entwicklung einer KreativZone entscheidet sich, ob Neues gedacht werden kann, ob Neues entstehen kann, ob Zukunft sichtbar wird und neue kreative Lösungen entwickelt werden können – oder ob die entstehenden Veränderungsideen als nicht-denkbar, als undenkbar in die »Ursuppe« der alten Organisationsmentalität zurückgegeben werden.
Dr. Heinz Hinz
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