Refugee Law Clinics Deutschland
Recht & Verwaltung17 März, 2022

„Seit unserer Gründung haben wir die Vision, dass wir uns selbst irgendwann abschaffen“ – Interview mit Jonathan Thiele über die Arbeit der Refugee Law Clinics

Im klassischen Jurastudium fehlt häufig der praktische Bezug zur Arbeitswelt. Beispielsweise werden aktuelle Themen rund um die Digitalisierung des Rechtsmarkts oft vernachlässigt. Aus diesem Grund stellen immer mehr studentische Initiativen Themen wie Legal Tech in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und entwickeln im Umgang damit innovative Ansätze. Aber auch in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Rechtsberatung für geflüchtete Menschen, gibt es mittlerweile hochinteressante Initiativen. Wolters Kluwer arbeitet mit einigen von ihnen eng zusammen und unterstützt sie auf verschiedene Art und Weise. Im Rahmen einer Interviewreihe stellt Wolters Kluwer die spannenden Kooperationen und deren Tätigkeiten vor.

Initiative: Refugee Law Clinics Deutschland
Gründung: September 2016
Interviewpartner: Jonathan Thiele, Vorstandsmitglied Bundesverband Refugee Law Clinics Deutschland

Was machen die Refugee Law Clinics genau?

In ganz Deutschland gibt es aktuell etwa 35 Refugee Law Clinics (RLCs), also an fast allen juristischen Fakultäten. Diese befinden sich zurzeit in unterschiedlichen Planungs- und Schaffensphasen.

Bei den RLCs spielt zum einen der Refugee-Aspekt eine Rolle: Geflüchtete finden, wenn Sie in Deutschland ankommen, keinerlei Anlaufstellen für eine Rechtsberatung, denn diese ist sehr teuer. Das deutsche Rechtssystem ist für sie nur sehr schwer zugänglich und insbesondere das Migrationsrechtssystem ist hoch kompliziert. Hinzu kommt noch das Problem der Sprachbarriere. Die RLCs haben es sich zum Ziel gesetzt, Geflüchteten sowie sozial Schwächeren eine kostenlose Rechtsberatung in verschiedenen Rechtsfragen im Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie im Migrationsrecht anzubieten. Das Angebot reicht dabei von der Begleitung zu Behörden über medizinrechtliche Fälle bis hin zu Anträgen rund um das Thema Familiennachzug.

Der andere Aspekt, der bei den RLCs eine wesentliche Rolle spielt, ist der Law Clinics-Aspekt: Das Migrationsrecht findet im universitären Kontext kaum statt. Die RLCs bieten Student:innen interne Ausbildungsprogramme im Flüchtlings- und Ausländerrecht, als Teil ihrer juristischen Ausbildung, um Geflüchteten Beistand bei rechtlichen Problemen zu gewährleisten. Studierende profitieren dabei davon, dass sie schon während des Studiums praktische Kenntnisse in einem Spezialgebiet erwerben. Wir versuchen also, in beiden Bereichen eine Lücke zu füllen.

Welche Projekte initiieren die RLCs?

Unser Herzensprojekt ist die Entwicklung von „Law & Orga“, einem digitalen Aktenverwaltungsprogramm. Seit der Gründung unseres Bundesverbandes 2016 ist Akten- und Vereinsverwaltung ein großes Thema, denn es gehört zur Kerntätigkeit einer RLC. Um Geflüchteten guten Rechtsrat geben zu können, muss der Sachverhalt detailliert, vereinheitlicht und datenschutzgerecht aufgenommen sowie gelagert werden. Das leistet alles „Law & Orga“. Außerdem möchten wir das Programm als Forum für Fragen von Beratenden und als Vernetzungstool ausbauen. Ein weiteres Projekt ist unser Podcast „Asyl im Dialog“. In diesem geht es um Asyl- und Aufenthaltsrecht, das von Expert:innen aus verschiedenen Bereichen und Perspektiven beleuchtet wird.

Sowohl die einzelnen RLCs als auch der Bundesverband organisieren Online-Veranstaltungen zu verschiedenen Themenbereichen. Jährliche Bundesvernetzungstreffen und regionale Tagungen sorgen für einen stetigen Austausch der verschiedenen RLCs.

Mit unserem Pilotprojekt „Refugee Right Access Project“ arbeiten wir mit Pro-Bono-Abteilungen verschiedener Großkanzleien zusammen, um gemeinsam online an der Balkanroute über das europäische Asylsystem zu informieren. Hier sind wir unterstützend tätig und bilden aus. Wir hoffen sehr, dass dieses Projekt auch 2022 weitergeht. Das sind nur wenige von vielen anderen Projekten, die auf der lokalen und bundesweiten Ebene stattfinden.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Die RLCs arbeiten mit Expert:innen und Ehrenamtlichen zusammen, die aus- und weiterbilden. Wir basieren auf einem Modell aus den USA, der sogenannten „Clinical Legal Education“, bei der Studierende im Rahmen der universitären Jurist:innenausbildung durch fallbasiertes Lernen praktische juristische Fähigkeiten erwerben. Während Studierende der Rechtswissenschaften im Rahmen der RLC-Arbeit zu „Social Justice Lawyern“ ausgebildet werden, entwickeln sich Universitäten so zu einem Ort, der einen Wandel betreibt und Wirkung hat!

In ganz Deutschland herrscht ein Mangel an Anwält:innen: Wir wollen, dass die Universitäten verstehen, dass „Clinical Education“ einen sehr positiven Nutzen hat und für die Studierenden den Grundstein für Praxisnähe legt. Mindestens genauso wichtig und teuer wie das Ausbildungsprogramm ist der Zugang zur Fachliteratur. Wolters Kluwer stellt unseren Berater:innen kostenlose Online-Zugänge, damit diese ungehindert auf Fachliteratur zurückgreifen und fallbezogene Recherchen ad hoc durchführen können.

Seit unserer Gründung haben wir die Vision, dass wir uns selbst irgendwann abschaffen. Es ist wohl ein Traum, dass wir irgendwann nicht mehr gebraucht werden. Bis dahin versuchen wir als Bundesverband, ein Netzwerk aus Berater:innen zu schaffen, so dass wir bundesweit agieren können.

Jonathan Thiele

Good Governance Student aus Rostock. Dort ist er als Rechtsberater und Sprachmittler in der lokalen Law Clinic aktiv und seit 2020 Vorstandsmitglied des RLC Bundesverbands. 

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