Insolvenzverfahren
Recht & Verwaltung04 Juli, 2023

Aktuelle Fallpraxis: Natürliche Personen – wichtige Praxistipps zur Verbraucherinsolvenz

von Sylvia Wipperfürth LL.M. (com.), SIIW SachverständigenInstitut für Insolvenz- und Wirtschaftsrecht
Sie sind und bleiben interessant, die Entwicklungen im Insolvenzrecht! Immer noch stellen die Insolvenzverfahren über das Vermögen von natürlichen Personen den wesentlichen Teil der Tätigkeit eines Insolvenzverwalters dar, ob im Verbraucher- oder im Regelinsolvenzverfahren. Aktuelle Tendenzen sind auch von Homeoffice, Inflation und Work-Life-Balance bestimmt.

Neue Pfändungsfreigrenzen

Die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung tritt pünktlich (§ 850c Abs. 3 Satz 2 ZPO) zum 1. Juli in Kraft (BGBl. I Nr. 79 v. 20.03.2023) und erhöht die Grundfreibetragsgrenze auf 1.409,99 €. Damit findet auch ein gewisser Inflationsausgleich im Vollstreckungs- und Insolvenzrecht Niederschlag.

Sterbegeldversicherung im Insolvenzverfahren

Eine bereits etwas zurückliegende Entscheidung des AG Erfurt (AG Erfurt v. 24.02.2021 – 5 C 2091/19) besticht mit einer sehr guten Begründung und empfiehlt sich faktisch als Blaupause, wenn es um die Frage der Pfändbarkeit/des Insolvenzbeschlags von Ansprüchen aus einer Sterbegeldversicherung geht.

Bei einer Sterbegeldversicherung eines Insolvenzschuldners, die den gesetzlich vorgesehenen pfandfreien Betrag gem. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO übersteigt, ist der Rückkaufswert anteilig im Verhältnis in einen pfändbaren und einen unpfändbaren Betrag aufzuteilen. Diese Verhältnisberechnungsmethode stellt das AG Erfurt anhand des entschiedenen Falles dezidiert und in konsequenter Umsetzung des Urteils des BGH vom 03.12.2009 (BGH v. 03.12.2009 – IX ZR 189/08) dar. Ergänzend kann eine Entscheidung des AG Münster aus dem Jahr 2022 herangezogen werden. Danach kann für die Realisierung des Anspruchs eine entsprechende Teilkündigung der Sterbegeldversicherung rechtlich zulässig sein (AG Münster v. 01.03.2022 – 7 C 1138/21).

Trinkgeld ist kein Erwerbseinkommen

Nach der sozialrechtlichen Wertung ist Trinkgeld eine Zuwendung, die Dritte erbringen, ohne dass dafür eine rechtliche oder sittliche Verpflichtung bestehe (BSG v. 13.07.2022 – B 7/14 AS 75/20 R). Deshalb sei das Trinkgeld nur dann bei der Berechnung der Leistungen zu beachten, wenn es so hoch sei, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären; dafür müsse es zumindest zehn Prozent des Regelbedarfs übersteigen (BSG v. 13.07.2022 aaO). Eine Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen und freiwilligen Trinkgeldern (kein Arbeitseinkommen, siehe hierzu siehe auch BAG v. 28.06.1995 – 7 AZR 1001/94, BAGE 80, 230) gem. § 850e Nr. 2, 2a ZPO dürfte daher regelmäßig nicht in Betracht kommen (LG Regensburg, JurBüro 1995, 218; siehe zum Thema auch Wipperfürth, InsbürO 2022, 240).

(Praxisrelevante) Rechtsfrage zum Teil noch ungeklärt

Zwar hat der BGH sich in seiner Entscheidung vom 29.04.2021 (BGH v. 29.4.2021 – IX ZB 25/20) – seiner jüngeren Linie konsequent folgend – dafür ausgesprochen, dass Ansprüche aus einer Kapitallebensversicherung, die dem Schuldner zur Sicherung für Ansprüche aus einer für seine Tätigkeit als Geschäftsführer erteilten Pensionszusage wirksam verpfändet sind, nach Pfandreife eine Einmalleistung i.S.v. § 850i ZPO darstellen können. Dies wird damit begründet, dass die dem Schuldner erteilte Pensionszusage nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter habe und damit der Leistung des Schuldners auch als Gegenleistung aus dem Dienstverhältnis gegenüberstehe (vgl. BGH v. 22.10.2020 – IX ZR 231/19, Rn. 24). Auch steht nach Ansicht des IX. Senats dem Pfändungsschutz gem. § 850i ZPO nicht entgegen, dass die Voraussetzungen des besonderen Pfändungsschutzes bei Altersrenten (§ 851c ZPO) in dem entschiedenen Fall nicht gegeben waren. Eine unkritische Übernahme der Rechtsgrundsätze auf ähnliche Fallkonstellationen kann aber nicht anempfohlen werden. Vorliegend war die Zahlung des Rückkaufswertes bereits erfolgt, und zwar auf ein vom Insolvenzverwalter geführtes offenes Vollrechtstreuhandkonto! Damit richtet sich der zur Diskussion stehende Anspruch nunmehr gegen den Insolvenzverwalter (nicht mehr gegen das Versicherungsunternehmen); nur aus diesem Grunde war überhaupt der Anwendungsbereich des § 850i ZPO eröffnet. Für die Praxis bedauerlich hat sich der BGH zur Zahlung auf ein Sonderkonto nicht festgelegt: „Es kann daher dahinstehen, ob Pfändungsschutz nach § 850i ZPO aufgrund der schuldbefreienden Wirkung der Leistung des Drittschuldners nicht mehr gewährt werden kann, sobald die Zahlung einem Sonderkonto der Masse gutgeschrieben worden ist, bevor der Antrag gestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – IX ZA 42/09, Rn. 2, WKRS 2010, 10619; Urt. v. 20.7.2010 – IX ZR 37/09, BGHZ 186, 242 = ZInsO 2010, 1534 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Ahrens, a.a.O., § 850i Rn. 49 f.; differenzierend AG Norderstedt, ZInsO 2017, 2189, 2191).“ Nach Ansicht der Verfasserin kommt in diesen Fällen Pfändungsschutz nur noch nach § 765a ZPO in Betracht (Wipperfürth, ZInsO 2022, 337).

Homeoffice und pfändbares Einkommen

Homeoffice – ein neuer Trend der Arbeitstätigkeit? Weit gefehlt! Das erste, gesetzlich verankerte Modell verabschiedete seinerzeit bereits „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen“ nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags am 20.12.1911 in Form des Hausarbeitsgesetzes, das am 01.04.1912 in Kraft trat. Der Grundgedanke ist bis heute – in abgeänderter Form - erhalten und gesetzlich verankert geblieben. Die gültige Rechtslage beschreibt das Heimarbeitsgesetz (HAG -Heimarbeitsgesetz v. 14.03.1951 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 804-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 6i des Gesetzes vom 16. September 2022 [BGBl. I S. 1454] geändert worden ist.)

Im Wesentlichen beinhaltet das HAG allgemeine Schutzvorschriften für die in Heimarbeit Beschäftigten, damit es insbesondere hinsichtlich der Vergütung, des Arbeitsschutzes, der sozialen Absicherung und des Kündigungsschutzes keinen Unterschied zu den Beschäftigten an der Arbeitsstätte gibt. In den Anwendungsbereich des HAG fallen seit 1974 sowohl selbstständig als auch unselbstständig Tätige (siehe Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974, BGBl. I S. 2879).

Ob jemand selbstständig tätig ist, kann anhand der vom BAG aufgestellten Kriterien einzelfallbezogen geprüft werden (BAG v. 14.06.2016 – 9 AZR 305/15): „Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet (BAG 11. August 2015 – 9 AZR 98/14 – Rn. 16). Ebenso ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit für die Abgrenzung von dem Rechtsverhältnis eines Werkunternehmers maßgeblich (BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 16). Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragspartner ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben (BAG 11. August 2015 – 9 AZR 98/14 – Rn. 16 mwN). Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Merkmale lassen sich nicht aufstellen (BAG 21. Juli 2015 – 9 AZR 484/14 – Rn. 20 mwN).

Für die Bestimmung des pfändbaren und damit insolvenzbeschlagenen Entgelts ist § 850i Abs. 2 ZPO zu beachten, der einen Verweis auf § 27 Heimarbeitsgesetz (HAG) enthält. Gem. § 27 HAG gelten für das Entgelt, das den in Heimarbeit Beschäftigten oder den Gleichgestellten gewährt wird, die Vorschriften über den Pfändungsschutz für Vergütungen, die auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses geschuldet werden, entsprechend. Damit ist das Entgelt für Heimarbeit ausdrücklich dem Arbeitseinkommen gleichgestellt. Gegebenenfalls ist eine Umrechnung bei Stückentgeltberechnung (§ 20 Satz 2 HAG) erforderlich (siehe hierzu sowie zum Berechnungsmodell Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn. C.31.).

Umwandlung einer Lebensversicherung anfechtbar?

Die Umwandlung von Lebensversicherungen in solche mit Pfändungsschutz (§ 851c ZPO) ist grundsätzlich rechtlich zulässig, vgl. § 167 VVG. Diese Umwandlung ist jedoch nicht nach § 132 InsO gegenüber dem Versicherer anfechtbar (OLG Karlsruhe v. 10.01.2022 – 3 U 30/21). Eine Anfechtung gegenüber dem Schuldner kommt ebenfalls nicht in Betracht, da dieser kein tauglicher Gegner eines Insolvenzanfechtungsanspruchs ist (BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 80/11). Zu beachten ist aber, dass die Pfändungsschutzvoraussetzungen des § 851c ZPO im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorliegen müssen, d.h. die Umwandlung muss vollzogen sein. § 167 VVG schafft kein Gestaltungsrecht, sondern gibt dem Versicherungsnehmer nur einen Anspruch darauf, die Lebensversicherung in eine Versicherung umzuwandeln, welche die Kriterien des § 851c Abs. 1 ZPO erfüllt (BGH v. 22.07.2015 - IV ZR 223/15). Der Pfändungsschutz nach § 851c ZPO besteht auch bei einem Umwandlungsverlangen eines Versicherungsnehmers gemäß § 167 VVG erst dann, wenn sämtliche der in § 851c ZPO geregelten Voraussetzungen im Zeitpunkt der Pfändung vorliegen (BGH v. 22.07.2015 - IV ZR 223/15 im Anschluss an BGH v. 27.08.2009 - VII ZB 89/08 und BGH v. 25.11.2010 - VII ZB 5/08). Im Fall einer schuldhaften Verzögerung, an der eine Umwandlung letztlich scheitert, kann sich der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer schadensersatzpflichtig machen (BGH v. 22.7.2015 – IV ZR 223/15; OLG Karlsruhe v. 27.4.2018 – 9 U 62/16).

Pfändbarkeit von Pflegegeld

Das an die Pflegeperson im Sinne von § 19 SGB XI weitergeleitete Pflegegeld (§ 37 SGB XI) ist nach § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB unpfändbar (und damit nicht Bestandteil der Insolvenzmasse); das hat der BGH zuletzt entschieden (BGH v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22). Bei dem Anspruch des Pflegegeldberechtigten selbst dürfte es sich um eine unpfändbare Sozialleistung im Sinne von § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I handeln (so auch Rein in: Henning/Lackmann/Rein, 2. Aufl., § 54 SGB I Rn. 13).

Inflationsausgleichsprämie – pfändbar (=Insolvenzmasse) oder nicht?

Durch das Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz v. 19.10.2022, BGBl. I S. 1743, hat der Gesetzgeber über § 3 Nr. 11 c) EStG die Steuerfreiheit für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26.10.2022 bis zum 31.12.2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3.000 € etabliert. Die Leistung, die auch bis zum 31.12.2024 gestaffelt, im Rahmen eines bestehenden Arbeitsvertragsverhältnisses erfolgen kann, ist rein fakultativ (ohne Rechtsanspruch) und dient auch nicht der Abgeltung von geleisteten Arbeiten, sondern ausschließlich der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise.

Insolvenzrechtlich interessant ist die Frage der Pfändbarkeit und damit des Insolvenzbeschlags (§ 36 Abs. 1 InsO). Zwei hierzu zwischenzeitliche ergangene Instanzenentscheidungen überzeugen nach hiesiger Ansicht im Ergebnis nicht:

Nach Ansicht des Amtsgerichts Köln (AG Köln v. 04.01.2022 – 70 K IK 226/20) kann die von Arbeitgebern (abgabenrechtlich privilegierte) Inflationsausgleichsprämie als eine wiederkehrende Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten dem Pfändungsschutz nach § 850c ZPO unterliegen. Die Rechtsauffassung wird damit begründet, dass die Prämie „[…] zum Ausgleich einer temporär sich verringernden Kaufkraft dient und damit den durch Arbeitseinkommen finanzierten Lebensstandard sichern soll, bevor sich die durch laufende Tarifabschlüsse gebundenen Tarifparteien darauf verständigen können. Die IAP eines Arbeitgebers erfüllt damit das Kriterium einer wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten […].“ Die Argumentation erscheint bereits deswegen unschlüssig, weil der Gesetzgeber gerade nicht die Abgeltung von geleisteten Diensten verlangt (§ 3 Nr. 11c EStG: „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“). Es handelt sich demnach nicht um Erwerbseinkünfte, denen eine Gegenleistung (des Arbeitnehmers) gegenübersteht.

Nach Ansicht des Amtsgerichts Hannover (AG Hannover v. 09.05.2023 - 907 IK 966/22) ist die durch den Arbeitgeber ausgezahlte Inflationsausgleichprämien zweckgebunden (§ 851 ZPO?) und daher nicht pfändbar. Begründet wird dies mit einer Zweckbindung insoweit, als das „[…] Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3.000 €“ gewährt werden. „Somit liegt eine Zweckbindung vor […].“

Die Annahme einer Zweckbindung könnte tatsächlich in einem ersten Ansatz daraus abgeleitet werden, dass die Zahlung mit dem Ziel der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (§ 3 Nr. 11c) EStG erfolgen soll. Die Intention ist damit ausschließlich die Kompensation von privaten Mehrausgaben. Dabei sind „Verbraucherpreise“ nicht näher konkretisiert, sondern beschreiben – wohl aus den aktuell für die Allgemeinheit erkennbaren Umständen heraus – die gestiegene Inflationsrate. Die Inflationskompensation ist damit eine Entlastung genereller Art, ohne dass ein Mittelverwendungsgebot (z.B. nur einzusetzen für das Bestreiten der Energiekosten, der Kosten für Lebensmittel etc.) existiert. Daraus folgt, dass die an den Arbeitnehmer gezahlte Inflationsausgleichsprämie nicht konkret zweckgebunden verwendet werden muss, sondern vielmehr frei verfügbar ist.

Zweckgebundene Ansprüche i.S.v. § 851 ZPO sind nur anzunehmen, wenn der mit der versprochenen oder geschuldeten Leistung bezweckte Erfolg nicht erreicht werden kann, falls an den Gläubiger zur Befriedigung von dessen titulierter Forderung geleistet wird (BGH v. 15.05.1985 - IVb ZR 33/84, BGHZ 94, 3169). Eine Pfändbarkeit solcher Ansprüche besteht für die Dauer der Zweckbindung nur für denjenigen, für den die Mittel bestimmt sind (treuhandartige Gebundenheit).

Eine derartige Zweckbindung, wie sie § 851 ZPO für die Unpfändbarkeit verlangt, ist in Bezug auf die Inflationsausgleichpauschale nicht erkennbar. Hierfür wäre erforderlich, dass sich aus dem Gesetz oder mindestens dem gesetzgeberischen Willen eine Ausschließlichkeit in Bezug auf die Mittelverwendung ergibt. Dies ist jedoch nicht anzunehmen.

Zudem ist anzumerken, dass der Inflationsausgleich wegen generell gestiegener Verbraucherpreise im Vollstreckungsrecht regelmäßig standardisiert über die Anpassung der Pfändungsfreigrenzen (siehe vorstehend) erfolgt. Eine vollstreckungsrechtliche Anpassung an die Inflationsrate ist außerhalb des Turnus (§ 850c Abs. 3 Satz 2 ZPO) jedoch vom Gesetzgeber nicht initiiert worden. Unter der Annahme eines Säumnisses kann eine generelle Kompensation jedenfalls nicht über § 851 ZPO erfolgen (siehe auch Wipperfürth, ZInsO 2022, 2558).

Schadensersatzanspruch gegen den Treuhänder

Die Haftung des Treuhänders – es gibt beliebtere Themen. Gleichwohl ist es wichtig, so dass eine aktuelle Entscheidung des BGH (BGH v. 16.03.2023 – IX ZR 150/22) abschließend kurz besprochen sein soll. Der IX. Senat hat für die Fälle der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung (§§ 300 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 Satz 3 a.F., 300a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 a.F. InsO) entschieden: „Wird dem Schuldner rechtskräftig vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt, steht das Vermögen, das der Schuldner nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung erwirbt, ihm auch dann zu, wenn das Insolvenzverfahren vor Erteilung der Restschuldbefreiung aufgehoben worden ist; diesen Neuerwerb hat der Treuhänder bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Schuldners weiter einzuziehen, für die Masse zu sichern und nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben (Fortführung von BGH, Beschluss vom 3.12.2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 ff). Kehrt der Treuhänder den von ihm nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung eingezogenen Neuerwerb an die Gläubiger aus, statt ihn nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben, so hat er insoweit persönlich dem Schuldner Schadensersatz zu leisten. […] Die Frage, ob der im Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff. InsO bestellte Treuhänder den Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet sein kann oder, wie vom Berufungsgericht angenommen, ausschließlich nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 280 BGB haftet (zum Meinungsstand vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 292 Rn. 15 f.), hat der Senat bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.2008 - IX ZR 118/07, NZI 2008, 607 Rn. 20). Sie bedarf auch vorliegend keiner Klärung, weil die Haftung des Beklagten zu 2 nach beiden Rechtsgrundlagen gegeben ist.

Eine Nichtbeachtung des § 300a InsO kann damit nicht nur für den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren, sondern auch für den Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren einen Regress zur Folge haben. Das Vermögen, das nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung bis zur Rechtskraft dieser erworben wird, ist bis zur Rechtskraft vom Treuhänder einzubehalten, aber nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben (§ 300a InsO). Sofern der Treuhänder den insoweit maßgeblichen Neuerwerb an die Gläubiger auskehrt, anstatt ihn nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben, macht er sich persönlich schadensersatzpflichtig.

Die in der BGH-Entscheidung vom 16.03.2023 (BGH v. 16.03.2023 – IX ZR 150/22) geschilderte Sachverhaltsdarstellung könnte aber aus einem anderen Grund irritieren. Der BGH schildert Folgendes zum Sachverhalt (Anm.: optische Hervorhebungen durch die Verfasserin): „Mit Beschluss vom 17. August 2018 wurde das am 18. September 2015 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin aufgehoben und der Beklagte zu 2 zum Treuhänder bestellt. Dieser zog vom 18. September 2020 bis einschließlich Dezember 2020 die pfändbaren Gehaltsanteile der Klägerin von deren Konto ein.

Es bleibt zu wünschen (und zu hoffen), dass die nach §§ 286 ff. InsO bestellten Treuhänder diesen Ausspruch nicht ernsthaft praktisch umsetzen, da die Vermögenswerte „Einkommen“ und „Bankguthaben“ zu unterscheiden sind: „Pfändbare Gehaltsanteile“ können rechtlich nicht „von einem Schuldnerkonto“ einbehalten werden. Bei dem von der Abtretung erfassten i.S.v. § 287 Abs. 2 InsO (u.a.) Arbeitseinkommen handelt es sich um den Anspruch des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Lohn/Gehalt. Der Treuhänder hat diesen (Arbeitgeber) über die Abtretung zu unterrichten, die von der Abtretung erfassten Beträge einzuziehen und von seinem Vermögen getrennt zu halten und einmal jährlich auf Grund des Schlussverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu verteilen, § 292 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO.

Der Anspruch des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber erlischt jedoch in dem Moment der Leistung (§ 362 Abs. 1 BGB); die von der Abtretung (§ 287 Abs. 2 InsO) erfasste Forderung ist erloschen.

Mit Gutschrift des „Geldes“ auf dem Girokonto des Schuldners wird ein neuer – nicht (!) von der Abtretung gem. § 287 Abs. 2 InsO erfasster – Anspruch des Schuldners gegen die Bank aus dem Zahlungsdiensterahmenvertrag begründet („Bankguthaben“). Die Abtretungserklärung i.S.v. § 287 Abs. 2 InsO erstreckt sich nicht auf diese Forderung. Der Treuhänder (§ 292 InsO) hat demnach hierauf keinen Zugriff. Bedauerlicherweise hat der BGH dies nicht thematisiert, sondern vielmehr eine unzutreffende Sachverhaltsdarstellung gewählt. Ein daran angelehntes Vorgehen dürfte nach Ansicht der Verfasserin weiteres Regresspotential bergen, so dass zu empfehlen ist, die Praxis nicht danach auszurichten.

Bildnachweis: KMPZZZ/stock.adobe.com
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