Amtshaftungsanspruch eines Unternehmens gegen ein Land wegen Ausschlusses vom Börsenhandel
1. Ein Land kann für Amtspflichtverletzungen des Organs einer Börse haften, das den Rechtsträger der Börse durch die Erteilung der Erlaubnis zu der Errichtung und dem Betrieb der Börse berechtigt und verpflichtet hat.
2. Im Amtshaftungsprozess sind Zivilgerichte an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten
im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung gebunden.
Sachverhalt: Klage eines Wertpapierhandelsunternehmens gegen seinen Ausschluss vom Börsenhandel
Die Klägerin, ein Wertpapierhandelsunternehmen, macht gegen das beklagte Land (Beklagter) Amtshaftungsansprüche geltend unter dem Vorwurf, sie sei durch einen Beschluss des Sanktionsausschusses der Terminbörse E. D. (Börse) vom Mai 2015 amtspflichtwidrig vom dortigen Handel ausgeschlossen worden.
Die Nebenintervenientin ist der Rechtsträger der Börse, dem der Beklagte die Erlaubnis, zu deren Betrieb erteilt hat. Die Klägerin ist ein auf Handel mit Futures spezialisiertes Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in Chicago, USA, das an der Börse zum Handel zugelassen ist.
Der Sanktionsausschuss der Börse verhängte im Juni 2014 sowie im Dezember 2014 Ordnungsgelder gegen die Klägerin in Höhe von 90.000 Euro beziehungsweise 250.000 Euro wegen – seiner Auffassung nach – unzulässiger Handelsaktivitäten in zwei Zeiträumen in den Jahren 2013 bis 2014.
Durch sofort vollziehbaren Beschluss des Sanktionsausschusses vom Mai 2015 wurden die Klägerin sowie ihr Chief Executive Officer (CEO) wegen Handelsaktivitäten seit Jahresanfang 2015 für dreißig Handelstage von der Börse ausgeschlossen.
Gegen den Sanktionsbeschluss vom Mai 2015 erhob die Klägerin beim VG Anfechtungsklage, die abgewiesen wurde.
Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der VGH Hessen mit der Begründung ab, dass alles dafürspreche, dass die Klägerin kein „berechtigtes Interesse" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Sanktionsbeschlusses habe, sodass sich die Klage als unzulässig erweise.
Die Sanktionsbeschlüsse vom Juni 2014 und Dezember 2014 wurden auf eine von der Klägerin erhobene, in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage vom VGH Hessen aufgehoben.
Die Klägerin macht geltend, durch den - ihrer Auffassung nach ebenfalls - rechtswidrigen Ausschluss vom Börsenhandel sei ihr ein Gewinn in Höhe von 983.740,86 Euro entgangen und ein weiterer Schaden aufgrund der dem Handelsausschluss folgenden Reduktion der Handelsaktivitäten entstanden, für den sie im Wege der Teilklage 16.259,14 Euro beansprucht.
Die danach auf Zahlung von insgesamt 1.000.000 Euro gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter.
Begründung: Keine Bindungswirkung des
Urteils des Verwaltungsgerichts für den Amtshaftungsprozess
Der BGH hat mit diesem Urteil vom 22.02.2024 - III ZR 13/23 - zu den Voraussetzungen einer Haftung für Amtspflichtverletzungen des Organs einer Börse Stellung genommen.
Der BGH hat entschieden, dass hier Feststellungen zu den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs der Klägerin, einem Wertpapierhandelsunternehmen, zu treffen sind.
Zur Begründung weist das Gericht zunächst darauf hin, dass der Sanktionsausschuss der Börse in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat.
Eine Börse ist eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts und erbringt ihre Leistungen, die ihrem Gegenstand nach der öffentlichen Daseinsvorsorge zuzuordnen sind, in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts. Dies stellt einen hinreichenden Grund für die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts dar.
Nach Überzeugung des BGH richten sich etwaige daraus resultierende Amtshaftungsansprüche gegen das beklagte Land.
Nach Auffassung des BGH besteht jedoch keine Bindungswirkung des Urteils des VG für den Amtshaftungsprozess.
Die Zivilgerichte sind zwar im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung gebunden. Diese tritt ein, wenn die Entscheidung der materiellen Rechtskraft fähig und formell rechtskräftig geworden ist.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) lehnt einen Berufungszulassungsantrag ab, wenn dieser auf ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils des Verwaltungsgerichts (VG) basiert. Die Ablehnung erfolgt in diesem Fall, weil das OVG nach strikter rechtlicher Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass die Klage unzulässig ist.
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist der Ansicht, dass das vorinstanzliche Urteil in diesem Fall nur unter den Bedingungen des Ablehnungsbeschlusses in Rechtskraft erwächst. Das bedeutet, dass das Urteil nur mit der Begründung, dass die Klage unzulässig war, rechtskräftig wird.
Aus Sicht des BGH ist dies hier der Fall. Er erläutert, dass der VGH das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht in der Sache bestätigt, sondern vielmehr entschieden hat, dass eine Sachentscheidung unzulässig sei.
Das Urteil des VG entfaltet daher materielle Rechtskraft nur nach Maßgabe des Beschlusses des VGH. Daher kann nach Auffassung des BGH eine Bindung im Amtshaftungsprozess an die Würdigung, dass der Sanktionsbeschluss rechtmäßig war, nicht bestehen.
Der BGH hat daher das angefochtene Urteil aufgehoben. Er hat darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht tatsächliche Feststellungen zu den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs des klagenden Wertpapierhandelsunternehmens nachzuholen hat. Insbesondere was die Amtspflichtwidrigkeit des Sanktionsbeschlusses der Börse betrifft, aber auch zum Verschulden der Amtsträger.
Praktische Bedeutung des Urteils vom
22.02.2024 - III ZR 13/23
Der BGH verdeutlicht in diesem Urteil, dass die Börse amtshaftungsrechtlich nicht für die Tätigkeit des Sanktionsausschusses verantwortlich ist.
Der Börse fehle im Hinblick auf einen Amtshaftungsanspruch die Rechtsfähigkeit.
Der BGH ist der Meinung, dass das Land für rechtliche Ansprüche verantwortlich ist, wenn es die Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 des Börsengesetzes erteilt hat, eine Börse zu errichten und zu betreiben.
Durch diese Erlaubnis wird dem Rechtsträger der Börse die öffentliche Aufgabe übertragen, die er dann an die Börse weitergibt. (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.06.2010 - 9 U 64/09).
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