Maengel ohne Abnahme
Recht & Verwaltung05 März, 2024

Mängel ohne Abnahme

Der BGH hat die zuvor bestehende Rechtsprechung von der nach Mängeln der getrennten Verfahrensbeendigung aufgegeben (Urteil v. 22.06.2023 - VII ZR 881/21). Was genau besagt die neue Regelung und besteht noch Optimierungspotenzial?

VRiKG Björn Retzlaff

Es ist eine regelmäßig wiederkehrende Standardkonstellation im Baurecht: Ein Bauunternehmer hat das beauftragte Werk nicht vertragsgerecht hergestellt. Der Besteller erklärt deshalb nicht die Abnahme. Dennoch beseitigt der Unternehmer die Mängel nicht und erbringt keine weiteren Leistungen, vielleicht weil er jedes weitere Engagement auf der Baustelle für wirtschaftlich nicht sinnvoll erachtet.

Es versteht sich von selbst, dass der Besteller, auch wenn er keine Abnahme erklärt hat, wegen der Mängel Sekundärrechte gegen den Unternehmer haben muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind dies zunächst die Rechte aus dem allgemeinen Schuldrecht (Schadensersatz und Rücktritt), aber auch diejenigen aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB, wenn der Besteller den Vertrag nach fruchtloser Nachfrist durch die ernsthafte und endgültige Erklärung der Erfüllungsverweigerung in ein „Abrechnungsverhältnis“ umgewandelt hat.

Dabei kann die Erfüllungsverweigerung in einem Schadensersatzverlangen (vgl. § 281 Abs. 4 BGB) oder einer Minderungserklärung liegen, der Besteller kann sie aber auch ausdrücklich oder konkludent verbunden mit einem Vorschussverlangen erklären (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2017 – VII ZR 193/15, 235/15 und 301/13).

Wann aber verjähren die mängelbedingten Ansprüche des Bestellers, wenn die Verjährung nicht gem. § 634a Abs. 2 BGB durch eine Abnahme in Gang gesetzt sein kann?

Diese Frage ist im Gesetz nicht geregelt und von der Rechtsprechung bis heute nicht beantwortet. Sie wirft die folgenden vier Probleme auf.

Problem Nr. 1
Welches Verjährungsregime ist anzuwenden? Die kenntnisabhängige Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB) oder die Verjährung nach § 634a BGB?

Da der BGH davon spricht, dass dem Besteller auch ohne Abnahme jedenfalls nach Eintritt eines „Abrechnungsverhältnisses“ die Rechte aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB zustehen (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 19.01.2017 – VII ZR 235/15, Rdnr. 44 f.), müsste jedenfalls insoweit die Verjährungsregelung des § 634a BGB eingreifen.


Problem Nr. 2

Wodurch soll die Verjährungsfrist in Gang gesetzt werden, wo § 634a Abs. 2 BGB doch auf die Abnahme abstellt, die der Besteller gerade nicht erklärt hat?
Hier muss es auf die Rechtshandlung des Bestellers ankommen, die das nach dem BGH maßgebliche „Abrechnungsverhältnis“ herbeigeführt hat. Diese Rechtshandlung ist die Erklärung der endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Besteller, die bei einem Schadensersatzverlangen (wegen § 281 Abs. 4 BGB) oder einer Minderung (wegen der Natur der Sache) „automatisch“ in der jeweiligen Erklärung des Bestellers liegt, im Fall eines Vorschussverlangens nur, wenn der Besteller dies ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2017 – VII ZR 193/15).


Problem Nr. 3
Wenn es für den Verjährungsbeginn auf ein Abnahmesurrogat, nämlich die Erfüllungsverweigerung des Bestellers ankommt: Was ist, wenn im Zeitpunkt dieser Erklärung der Primäranspruch des Bestellers auf Leistung oder Nacherfüllung bereits verjährt ist? Die Verjährung des Primäranspruchs richtet sich nach § 199 BGB, d.h. sie ist kenntnisabhängig und unterliegt der Obergrenze des § 199 Abs. 4 BGB. Zu einer solchen Konstellation kann es z.B. kommen, wenn sich an einem nicht abgenommenen aber vom Besteller notgedrungen genutzten Werk erst nach längerer Zeit ein bis dahin nicht in Erscheinung getretener Mangel zeigt, der beseitigt werden muss.

Auch diese Frage ist ungeklärt; der BGH hat sie erst kürzlich in einer Entscheidung ausdrücklich offengelassen (BGH, Urt. v. 09.11.2023 – VII ZR 241/22, Rdnr. 45). Kommt hier eine analoge Anwendung von § 218 BGB in Betracht? Danach kann ein Leistungsempfänger nicht mehr vom Vertrag zurücktreten, wenn der nicht erfüllte Primäranspruch verjährt ist. Die hier erörterte Situation ist ähnlich: Die endgültige Erfüllungsverweigerung des Bestellers ist ebenso wie der Rücktritt eine (selbst nicht der Verjährung unterliegende) Gestaltungserklärung, die er in Reaktion auf die Nichterfüllung seines Primäranspruchs abgibt und die einen Sekundäranspruch (auf Schadensersatz oder Vorschuss) entstehen lässt. Die Analogie könnte also passen.


Problem Nr. 4
Zeigen sich bspw. bei einem nicht abgenommenen aber genutzten Werk zeitlich versetzt
die unterschiedlichen Mängel M 1 und M 2, für deren Beseitigung der Besteller ebenfalls zeitlich versetzt nach fruchtloser Nacherfüllung jeweils Schadensersatz oder einen Vorschuss verlangt: In welchem Umfang wird hier jeweils der Lauf der Verjährungsfrist
in Gang gesetzt?


Hätte der Besteller die Abnahme erklärt, wäre hierdurch gleichzeitig die Verjährung seiner Sekundäransprüche wegen M 1 und M 2 und aller weiteren denkbaren Mängel in Gang gesetzt worden. Aber gilt das auch, wenn es an einer Abnahme fehlt? In dem Schadensersatzverlangen des Bestellers wegen M 1, liegt eine endgültige Erfüllungsverweigerung, die die Verjährung auslöst (vgl. Problem Nr. 2). Aber tut sie das
nur für die auf M 1 gestützten Sekundäransprüche oder – wie im Fall der Abnahme – für sämtliche Sekundäransprüche die auf alle anderen denkbaren Mängel an dem Werk gestützt werden – also auch für M 2? Anders formuliert: Hat die Erfüllungsverweigerung
des Bestellers nur „Einzelwirkung“ für den Mangel, auf den sie sich bezieht, oder „Gesamtwirkung“? Je nach Einzelfall könnten die Ansprüche des Bestellers wegen M 2
dann aufgrund seines vorherigen Schadensersatzverlangens wegen M 1 verjährt sein.

In der bereits erwähnten Entscheidung lag dem BGH eine solche Konstellation vor (BGH, Urt. v. 09.11.2023 – VII ZR 241/22). Allerdings traf er dort nur die Aussage, dass sich der Besteller nicht widersprüchlich oder treuwidrig (§ 242 BGB) verhält, wenn er, nachdem er früher schon einmal Ansprüche wegen Mängeln an einem nicht abgenommenen Werk geltend gemacht hat, nach mehreren Jahren nochmals Ansprüche wegen anderer Mängel erhebt (a.a.O., Rdnr. 40 ff.). In der Entscheidung finden sich leider keine Ausführungen zu der Frage, ob die mit der Erhebung der ersten Mängelansprüche verbundene Erfüllungsverweigerung nicht vielleicht gem. § 634a Abs. 2 BGB Gesamtwirkung für alle denkbaren Mängel des Werks hat, auch die noch nicht erkannten. Auf § 242 BGB käme es dann gar nicht mehr an. Da der BGH in seinem Urteil die streitgegenständlichen Mängelansprüche des Bestellers als nicht verjährt ansieht, könnte hieraus implizit folgen, dass die vorherigen Erfüllungsverweigerungen jeweils nur Einzelwirkung hatten. Mangels ausdrücklicher Thematisierung durch den BGH ist dies aber nicht sicher.

Außerdem würde sich dann als Problem Nr. 5 die Anschlussfrage stellen, wie weit die Einzelwirkung einer Erfüllungsverweigerung jeweils reicht. Betrifft sie nur den jeweils lokalisierten Mangel oder die vollständige Mängelsymptomatik? Oder umfasst sie wegen § 648a Abs. 2 BGB gar den vollständigen „abgrenzbaren Teil“ des Werks, in dem der Mangel liegt?

Bis auf Weiteres warten alle diese Fragen weiter auf eine Antwort.

Bildrechte: N. Theiss/stock.adobe.com
Retzlaff_Bjoern
Autor
VRiKG Björn Retzlaff

Vorsitzender Richter des 21. Zivilsenats am Berliner Kammergericht, der für Bausachen zuständig ist.

Mitherausgeber der Zeitschrift „baurecht“.

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